Waalwege in Südtirol

Auf dem Bild sieht man einen Abschnitt des Latschander Waalwegs im Vinschgau in Südtirol. Der Waal fließt hier durch lichten Kiefernwald, sodass die Sonne an vielen Stellen hindurchscheinen kann. Der Waalweg ist links vom Waal zu sehen. Er ist breit und fast eben. Im Hintergrund sieht man zwischen den Bäumen den blauen Himmel.
Waalwege in Südtirol – Latschander Waalweg im Vinschgau

Meditatives Wandern auf Waalwegen

Was gibt es Schöneres, als auf einem Waalweg zu wandern? Das Gehen neben dem Wasser hat schon fast etwas Meditatives, das Plätschern des Waals beruhigt und entspannt zugleich. Besonders schön sind für mich die Momente, wenn das Licht der tief stehenden Sonne auf den Waalweg fällt …

Was für Wanderinnen & Wanderer unserer Zeit schön angelegte und gepflegte Wege sind, war in früheren Zeiten für Südtiroler Bergbauern die blanke Not – die Waale wurden zur Bewässerung der Äcker und Wiesen angelegt. Dass Waalwege eines Tages zu touristischen Magneten würden, daran dachte seinerzeit ganz sicher niemand. Selbst bis in die 1980er-Jahre, als die Technik in Form von Berieselungsanlagen das System der Waale überflüssig machte, war dies kaum bewusst. Viele Waale wurden verrohrt, andere aufgelassen und man ließ viele Waale leider verfallen. Manche Autoren bezeichneten dies als »Waalsterben«.

Auf dem Bild sieht man einen Abschnitt des Wallburgwegs oberhalb von Naturns. Links vom Weg erkennt man noch die Rinne des ehemaligen Naturnser Schnalswaals, der in diesem Abschnitt verrohrt und daher aufgelassen wurde. Der Weg ist links und rechts vom Weg ist üppig begrünt und zum Teil blühen Blumen.
Aufgelassen – Naturnser Schnalswaal mit Wallburgweg

Spätestens ab den 1990er-Jahren erkannte man in Südtirol das enorme touristische Potential der Waalwege. Aufgelassene Waale wurden wieder belebt, die Wege instand gesetzt und neu markiert. Waalwege gehören im Vinschgau und besonders rund um Meran im Burggrafenamt zu den beliebtesten Wander- und Ausflugszielen. Abgesehen davon handelt es sich bei den Waalen um Kulturdenkmäler ersten Ranges, die gerade im Vinschgau ein wesentlicher Bestandteil der Landschaft sind.

Die ältesten Waale dürften schon in vorrömischer Zeit entstanden und später von den Römern verbessert worden sein. Durch die zunehmende Besiedelung des Vinschgaus im Mittelalter wurde auch das Waalsystem stärker ausgebaut. Für den Namen Waal existieren zwei Deutungen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass sich der Begriff »Waal« vom lateinischen »aquale« für Wasser herleitet. Es gibt aber auch Forscher, die einen Zusammenhang mit dem keltischen »bual« vermuten, was ebenfalls so viel wie Wasser bedeutet.

In vielen Orten im Vinschgau gibt es nicht nur einen Waal, sondern es existieren mitunter ganze Waalsysteme, wie beispielsweise auf der Malser Haide oder in der Umgebung von Mals und Schluderns. Um den sehr knappen Wasserhaushalt einigermaßen kontrollieren zu können, legte man an vielen Orten eine Tschött, ein Wasserspeicherbecken an. Auch diesen Wasserspeichern begegnet man heute noch, unter anderem beim Aufstieg von Matsch zur Spitzigen Lun oder wie hier auf dem Bild am östlichen Beginn des Partschinser Waalwegs.

Auf dem Bild sieht man eine so genannte Tschött, einen kleinen Weiher, der zur Regulierung (Speicherung, Klärung, Erwärmung) des Waals dient. Diese Tschött befindet sich am östlichen Beginn des Partschinser Waalwegs im unteren Vinschgau in der Nähe von Meran. Die Umgebung er Tschött ist üppig mit Bäumen und Büschen begrünt.
Tschött – Künstlicher Weiher zur Waalregulierung

Inneralpine Trockeninsel Vinschgau

Warum gibt es gerade im Vinschgau so viele Waale? Das liegt daran, dass der Vinschgau zu den trockensten Regionen Europas gehört. Die Mengen an Niederschlag sind hier so gering, dass sich vor vielen Jahrhunderten eine Kultur mit Bewässerungskanälen, den Waalen, entwickelte.

Der durchschnittliche Jahresniederschlag beträgt in Schlanders und Naturns 480 mm – Niederschlagsmengen, die mit Sizilien vergleichbar sind! Selbst in Reschen sind es mit 660 mm nicht viel. Zum Vergleich: Innsbruck kommt auf 860 mm, Zürich auf 1100 mm, Bregenz am Bodensee bringt es immerhin auf 1640 mm und Oberstdorf im Allgäu hat mehr als 1830 mm. Selbst die Vinschgauer Nachbartäler Ulten und Passeier haben bereits mehr als 1000 mm Jahresniederschlag.

Auf dem Bild geht der Blick vom Meraner Höhenweg am Naturnser Sonnenberg Richtung Osten zu den Höfen zwischen Aufrain und Hochforch. Die Höfestraße ist zum Teil erkennbar. Das Bild zeigt sehr deutlich die unterschiedliche Vegetation am Naturnser Sonnenberg. Rund um die Höfe sind die Wiesen grün, weil sie bewässert werden. An anderer Stelle sind sie fast braun. Die steilen Hänge sind unterschiedlich stark mit Bäumen bestanden. Dies unterscheidet den Sonnenberg stark vom Nörderberg auf der anderen Talseite, der in der rechten Bildhälfte zu sehen ist. Dort ist der ganze Hang dicht bewaldet. Im Hintergrund sieht man noch die Gipfel der Sarntaler Alpen rund um Meran 2000. Der Himmel ist blau, es hat wenige Schleierwolken.
Steppenvegetation – Naturnser Sonnenberg

In den Alpen erhalten vor allem so genannte inneralpine Längstäler, die in west-östlicher Richtung verlaufen, wenig Niederschlag. Der Vinschgau ist das regenärmste Tal der gesamten Ostalpen, besonders im mittleren und unteren Vinschgau zwischen Schluderns und Partschins.

In den Alpen gibt es weitere Beispiele für Längstäler, die ebenso durch Regenarmut gekennzeichnet sind, wenn auch nicht ganz so stark wie der Vinschgau. Das Rhonetal im Schweizer Kanton Wallis ist ebenfalls sehr trocken. Die Berner Alpen im Norden und die Walliser Alpen im Süden sind jeweils über 4000 m hoch und schirmen Niederschläge zuverlässig ab. Dazu riegeln die zwar nicht ganz so hohen, aber zum Teil immer noch über 3000 m hohen Gipfel der Chablais Alpen das Rhonetal von Westen ab. Wie im Vinschgau gibt es im Wallis Bewässerungskanäle, die im Oberwallis »Suone«, im französischsprachigen Unterwallis »Bisse« genannt werden.

Auf dem Bild sieht man eine interessante Passage der Bisse Vieux bei Haute-Nendaz im französischen Wallis. Die Bewässerungskanäle hießen hier Bisse. Das Wasser fließt an der Stelle im Wald durch eine künstliche Rinne aus Metall. Das Gefälle der Bisse ist in diesem Abschnitt sehr groß. Der Weg verläuft hier links vom Wasserkanal über Stufen, was die Steilheit noch unterstreicht. Links und rechts der Bisse breitet sich eine üppige Vegetation aus Bäumen und Büschen aus. Die Sonne scheint aber zum Teil hindurch.
Bewässerung im Wallis – Bisse Vieux bei Haute-Nendaz

Auch das südlich der Walliser Alpen in Italien gelegene Aostatal gehört zu den trockensten Tälern der Alpen. Mit dem benachbarten Unterengadin im Schweizer Kanton Graubünden verhält es sich ähnlich. Es gehört ebenfalls zu den alpinen Trockeninseln, auch wenn die Trockenheit dort nicht ganz so ausgeprägt ist wie im Vinschgau oder im Rhonetal.

Jochwaale als Ziele für Bergwanderungen

Waale wurden aber nicht nur in Tal nähe oder an Berghängen in mittleren Höhen angelegt, sondern zum Teil auf Pässen und Jöchern. Man spricht daher auch von »Jochwaalen«, von denen es im Vinschgau mehrere gibt. Bekannt sind der Tarscher Jochwaal, der hoch über dem Nörderberg verläuft und der Tellawaal im Münstertal. Das vielleicht höchstgelegene Waalsystem Europas ist der Goldrainer Jochwaal, von dem noch Reste zu sehen sind. Er leitete einst das Wasser aus dem obersten Penaudtal, einem südlichen Seitental des Schnalstals, über das Niederjöchl zu den Weiden der Bergbauern von Goldrain und St. Martin im Kofel. Von hier können absolut trittsichere und schwindelfreie Bergwanderinnen & Bergwanderer über einen zum Teil sehr steilen Steig zum Niederjöchl aufsteigen und weiter zum Goldrainer Jochwaal wandern.

In besonders schwierigem Gelände (Felsen, Schrofen) behalf man sich mit dem Bau von Holzrinnen aus Baumstämmen, so genannten Kandln.

Auf dem Bild sieht man einen Abschnitt des Tellawaals bei Taufers im Münstertal. Es ist Herbst, der erste Schnee ist bereits gefallen. Der Tellawaal ist ein so genannter Jochwaal. Er leitet das Wasser aus dem Arundatal über das Tellajoch auf die Almen oberhalb von Taufers. Im Vordergrund links erkennt man eine Holzrinne, eine so genannte Kandl, durch die das Wasser fließt. In dieser liegt auch ein Schlauch, den man am hinteren Ende der Kandl in der Fortsetzung noch besser sehen kann. Rechts im Hintergrund ist die Trasse des Jochwaals noch zu erkennen. Dort kommen auch noch ein paar Sonnenstrahlen hin, während der Vordergrund bereits im Schatten liegt.
Jochwaal – Tellawaal bei Taufers im Münstertal

Das Bild zeigt eine Kandl am Tellawaal, einem Jochwaal bei Taufers im Münstertal. Dieser Waal leitet das Wasser aus dem nördlich gelegenen Arundatal über das Tellajoch auf die Almen und Weiden der Tellaalm oberhalb von Taufers. Auf dem Bild ist rechts im Hintergrund noch die Trasse des Waals zu erkennen.

Waaler & Waalerhütte

Zuständig für die Wartung und Pflege des Waals ist der Waaler. Hanspaul Menara beschreibt in seinem Standardwerk Südtiroler Waalwege sehr anschaulich, über welche Fähigkeiten der Waaler verfügen muss: Neben technischem Verständnis muss er sich mit komplizierten Wasserrechten auskennen und mit Menschen umgehen können. In einer Stellenanzeige würde man heutzutage für solch eine Tätigkeit also eine Person suchen, die neben technischen Fähigkeiten und rechtlichem Hintergrundwissen über eine ausgeprägte Sozialkompetenz verfügt …

Auf dem Bild sieht man links die ehemalige Waalerhütte im Sattel westlich unterhalb des Atzbodens. Über den Sattel verlief früher ein Jochwaal, der Klammwaal. Er leitete das Wasser vom Grafferner auf die Weiden und Almen im Schnalstal leitete. In der rechten Bildhälfte ist im Vordergrund ein Holzkreuz zu sehen. Im Hintergrund erheben sich die Berge der Texelgruppe. Die Wiesen sind bereits herbstlich gelb und braun gefärbt. Der Himmel ist blau und mit Schleierwolken verziert.
Waalerhütte – Atzboden im Schnalstal

Der Waaler lebt meist in seiner eigenen Unterkunft, der Waalerhütte. Solche Waalerhütten gibt es selbst an den hoch gelegenen Jochwaalen. Am Klammwaal im Schnalstal, steht im Sattel unterhalb des Atzbodens eine sehr eindrucksvolle Waalerhütte. Seit dem Tod des letzten Waalers im Jahr 1978 wird sie nicht mehr genutzt. Der Klammwaal ist mittlerweile komplett verrohrt, auch wenn man hier und da noch den Verlauf des Waals erkennen kann. Das Wasser ist nur noch zu hören, wie es durch die Rohre fließt. Unterhalb von Schloss Juval steht am Vinschger Höhenweg eine schöne Waalerhütte, die vor einiger Zeit renoviert wurde.

Wo in Südtirol gibt es Waalwege?

Der Großteil der Südtiroler Waalwege liegt im Vinschgau. Es gibt aber auch viele Waalwege bei Meran. Manche davon befinden sich in der näheren Umgebung von Meran (u.a. Marlinger Waalweg, Algunder Waalweg, Maiser Waalweg), einige im Passeiertal. Auch die Waale im unteren Vinschgau zwischen Partschins und Naturns liegen noch im Einzugsbereich von Meran.

Auf dem Bild sieht man eine Wanderin am Partschinser Waalweg. Links vom breiten Weg fließt der Waal fast ohne Gefälle. Auf beiden Seiten breitet sich eine üppige grüne Vegetation aus. Die Sonne fällt zum Teil durch die dichte Vegetation auf den Weg und auf den Waal.
Beruhigend – Wandern am Partschinser Waalweg

Wandern auf Waalwegen

Die Anforderungen auf Waalwegen reichen von sehr leicht (Latschander Waalweg im Vinschgau und Marlinger Waalweg bei Meran) über leichte Bergwanderungen (Tellawaal) bis zu anspruchsvollen Bergwanderungen (Goldrainer Jochwaal).

Für viele einfache Waalwege sind Turnschuhe ausreichend, auf den Jochwaalen braucht es eine vollständige Bergwanderausrüstung. Auch wenn die Anforderungen meist nicht hoch sind, so ist doch eine gewisse Trittsicherheit vorteilhaft, denn oft führen die Waalwege durch steiles Gelände. Zwar sind die Wege oft breit genug, dass man bei Gegenverkehr passieren kann, aber die Waalwege sind nicht durchgehend mit einem Geländer gesichert.

Geschmäcker und Ansprüche sind verschieden. Das ist auch bei Wander- und Tourenführern nicht anders. Daher folgender Tipp: Wer von euch weniger Wert auf Hintergrundinfos legt, ist mit dem Wanderführer von Oswald Stimpfl bestens bedient. Wer mehr wissen möchte, greift zu einem der beiden anderen Werke. Beide sind sehr empfehlenswert.

Bodini, Gianni: Waalwege in Südtirol, Tappeiner, 2010. Beschreibt nicht nur Wanderungen auf Waalwegen, sondern wirft auch einen Blick auf die Geschichte der Waale und auf Bewässerungssysteme in anderen Kulturen.

Menara, Hanspaul: Südtiroler Waalwege, Athesia, Bozen, 2. Auflage 2010 (Nachdruck). Wer sich eingehender mit der einzigartigen Kultur der Waale beschäftigen möchte, kommt an diesem Klassiker nicht vorbei. Es beschreibt insgesamt 40 Waalwege. Zudem ist es eine wahre Fundgrube, enthält es doch viele interessante Hintergrundinformationen sowie ein Lexikon mit 250 Südtiroler Waalen. In der Modebranche spräche man von einem »Must-have« …

Stimpfl, Oswald: Südtirols schönste Waalwege, Folio, Bozen, 5. Auflage 2023. Mit Wanderkarten und Einkehrtipps. Für Wanderungen bestens geeinet, aber nicht mit der selben inhaltlichen Tiefe wie der »Menara«.

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