Leichter Aussichtsberg im Trentino
Wer Südtirol in Richtung Süden verlässt, für den rücken zwischen Salurn und Mezzocorona unbekannte Berge ins Bild: zuerst die breite Paganella und darüber die Zacken der Brentagruppe. Weiter links spitzt die schöne, mit einer Antenne »garnierten« Pyramide des Palon völlig freistehend in den Himmel. Und dann zeigen sich auch die Berge linksseitig der Etsch: Monte Calisio und die Vigolana und dazwischen die Marzola.
Die Marzola ist einer der Hausberge von Trento. Wie Claudio Fabbro im Wanderführer »Valsugana Occidentale«, Euroedit, schreibt, streiten sich Marzola und Cima Palon auf der anderen Seite der Etsch um den Titel des Hausbergs von Trento schlechthin. Was für die Marzola spricht: Der Berg wäre ab Trento sogar zu Fuß erreichbar. Aber vermutlich macht das kaum jemand. Auch im Italienischen gibt es den Ausdruck Hausberg – es heißt ganz einfach »montagna di casa«. Apropos Trento: Die schöne Altstadt lohnt in jedem Fall einen Besuch.
Prominent & aussichtsreich
Immer wieder liest man über die Marzola, dass es sich um einen Gipfel von »geringer Höhe« handelt. Nimmt man als Referenz die absolute Höhe von 1738 m, ist das sicher korrekt. Gleichwohl ist die Marzola ein sehr bedeutender Gipfel. Genau genommen handelt es sich bei der Marzola um ein kleines, aber selbständiges Massiv, das entschieden von anderen Gebirgsgruppen getrennt ist. Es ist auf fast allen Seiten von tiefen Tälern umgeben: Im Westen das Etschtal, im Osten die Valsugana mit dem Lago di Caldonazzo und im Norden die Schlucht der Fersina, einem Fluss, der im gleichnamigen Tal im westlichen Lagorai entspringt.
Nur im Süden ist das kleine Massiv über einen Sattel, den Altopiano della Vigolana, ca. 690 m, mit den Gipfeln der Vigolana verbunden. Das ergibt eine beachtliche Schartenhöhe von ca. 1050 m. Die Marzola ist trotz ihrer geringen Höhe ein prominenter Berg, der die Top 150 in dieser Kategorie nur ganz knapp verpasst. Das verspricht eine wunderbare Aus- und Rundsicht, die lediglich im Süden von den Gipfeln der Vigolana etwas eingeschränkt wird. Nach allen anderen Richtungen ist der Blick frei. Für eine Besteigung würde ich euch unbedingt einen klaren Tag empfehlen.
Gipfel in den Vizentiner Alpen
Wie die südlich gelegene Gruppe der Vigolana gehört die Marzola zu den Vizentiner Alpen. Sie ist deren nordwestlichster Ausläufer. Die Vizentiner Alpen werden Richtung Westen durch das Etschtal, im Norden durch die Valsugana und im Osten durch den Canale di Brenta (Val Brenta) klar begrenzt. Nach Süden senken sie sich zur Poebene zwischen Verona, Vicenza und Bassano del Grappa ab. Wer auf die Karte schaut, erkennt, dass die Marzola fast so etwas wie ein Anhängsel der Gruppe ist. Nach der Cima Dodici ist sie in Sachen Prominenz der bedeutendste Gipfel in den Vizentiner Alpen.
Die Marzola trägt zwei fast gleich hohe Gipfel. Höchster Punkt ist die Cima Nord mit 1738 m. Nur wenig niedriger ist die Cima Süd mit 1736 m. Beide sind durch einen breiten Gratrücken mit einander verbunden. Die Karten sind sich nicht immer ganz einig – manchmal wird der Nordgipfel mit 1737 m angegeben (so bei OpenTopoMap), manchmal der Südgipfel. Tiefster Punkt im Kamm ist die Sella della Marzola, 1692 m. Aus manchen Blickrichtungen sieht es fast nach drei Gipfeln aus: Zwischen den beiden Hauptgipfeln erhebt sich eine flache, namenlose Kuppe mit 1723 m. Auf den italienischen Wegweisern wird die Marzola stets »Cima Marzola« genannt.
Wer die Marzola aus westlicher Richtung betrachtet, wie auf dem Bild von der Cima Palon, findet den Berg vielleicht gar nicht so attraktiv: Dichte Wälder bedecken fast die gesamte Westflanke.
Die Marzola stand seit Mitte der 1990er-Jahre auf meinem Wunschzettel. Seinerzeit fiel mir das Bildwanderbuch »Bergwandern im Trentino« von Mario Corradini in die Hände. Das längst vergriffene Buch enthält eine ganze Palette schöner Gipfeltouren im Trentino und es ist schade, dass es nicht mehr neu aufgelegt wird. Die Marzola wird darin mit wunderbaren Bildern illustriert. Da wollte ich unbedingt hinauf. Fast 30 Jahre dauerte es dann bis zu meiner Besteigung. Aber hey, es gibt eben viele schöne und lohnende Gipfel in den Alpen. Der Autor Mario Corradini ist einer der besten Kenner der Region und unter anderem Verfasser des CAI-Führers »Lagorai – Cima d’Asta« aus der Reihe der »Guida di Monti d’Italia«. Im Vergleich zu früher gibt es heute wenigstens ein paar Auswahlführer in deutscher Sprache.
Was bedeutet »Marzola«?
Dass der Name etwas mit dem Monat März zu tun hat, wäre denkbar, schließlich heißt März auf Italienisch Marzo. Ebenfalls dafür sprechen könnte ein Ziegenkäse mit dem Namen »Marzolino«, der nur im März hergestellt wird, zu Beginn der Milchabsonderungszeit der Ziege. Zugegeben: Reine Spekulation, Belege dafür habe ich nicht. Marzola kommt auch als Familienname vor. In älteren Publikationen findet sich auch die Schreibweise mit Akzent: Marzòla. Normalerweise wird im Italienischen die Vorletzte Silbe betont, also braucht es den Akzent eigentlich gar nicht. Und ja – ich war tatsächlich im März oben. Aber das war eher zufällig und nicht unbedingt gewollt. Übrigens wird auch der Ausgangspunkt bisweilen mit Akzent geschrieben: Vigolo Vattàro.
Anstiege auf die Marzola
Auf den Normalwegen ist der Gipfel einfach erreichbar und eines der lohnendsten Ziele im Trentino. Der wohl meist begangene (und meist beschriebene) »klassische« Anstieg führt vom Rifugio Maranza, 1072 m, mit der Markierung 412 in gut 2 Std. zum Südgipfel. Dies ist auch die übliche Schneeschuhroute, die in italienischen Führern beschrieben wird. Die große Beliebtheit liegt wohl daran, dass die Maranzahütte auf schmaler Bergstraße mit dem Auto erreichbar ist. Gleichzeitig ist eine Überschreitung der Marzola zum Nordgipfel und mit Abstieg über den Nordgrat zurück zur Hütte möglich (Weg Nummer 411 und 426).
Diese Routen kenne ich nicht, sie sind in italienischsprachigen Führern und im Internet gut dokumentiert. Die Marzola ist vermutlich nicht nur wegen ihrer Aussicht beliebt, sondern weil aus allen Richtungen Anstiege zum Gipfel führen, die schöne Routenkombinationen erlauben.
Auf keinen Fall solltet ihr den Gipfel unterschätzen. Die Wege verlaufen durch zum Teil sehr steile Gras- und Schrofenflanken, die Trittsicherheit erfordern. Dies gilt ganz besonders bei Nässe oder Schnee. Gerade auch der von mir begangene und vorgeschlagene Anstieg ist bisweilen steil, zum Teil über 35°. Bei (zu) viel Neuschnee sind in der steilen Flanke durchaus Schneerutsche oder Lawinen denkbar.
Wenn ihr auf Nummer sicher gehen wollt: Ab Mai und besonders im September und Oktober sollten die Verhältnisse perfekt sein. Und falls ihr es am Gipfel gerne etwas ruhiger haben möchtet, würde ich euch empfehlen, Sonn- und Feiertage sowie die Ferienzeiten zu meiden.
Von Südosten zur Cima Marzola Nord
Als ich mal wieder in der Gegend weilte, war es Anfang März. Für einen Anstieg mit Schneeschuhen lag viel zu wenig Schnee. Ich wollte daher eine Route mit möglichst wenig Schneekontakt und ohne den Umweg über den Südgipfel. Also ein Anstieg von Süden, von Vigolo Vattaro.
Der Übergang zum Südgipfel ließe sich auch bei geringer Schneelage machen. Aber an dem Tag wollte ich einfach nur sitzen, schauen und genießen. Ich war noch etwas geschlaucht von den drei anstrengenden Tourentagen davor … Fast vier Stunden bin ich am Gipfel geblieben.
Bei OSM ist der Anstieg mit T2 bewertet. Dies trifft für den größten Teil des Anstiegs zu. Oberhalb von ca. 1400 m führt der Steig aber durch eine steile Kehle, in der die Hände manchmal zum Abstützen hilfreich sind. Dieser Abschnitt ist für mich ein T3. Bei Eis oder Schnee würde ich euch von diesem Anstieg abraten.
Von Vigolo Vattaro, 724 m, folgt ihr der asphaltierten Straße in nördlicher Richtung, oberhalb des Torre Rombonos (Weg Nummer 437), vorbei am Parkplatz von La Sabbionara, 788 m. Immer weiter auf der Straße geht es etwas monoton in einen kleinen Sattel auf den Piani di Vigo, 1196 m. Hier stößt von rechts Weg Nummer 433 hinzu. Der Markierung links haltend folgen. Am Aussichtspunkt Terra Rossa vorbei steigt der Weg stärker an, bis zu einer Bank auf ca. 1400 m, mit tollem Blick nach Süden zur Vigolana. Das Gelände wird nun deutlich steiler. In diesem Abschnitt ist Trittsicherheit gefragt. Nach knapp 30 Minuten legt sich das Gelände wieder etwas zurück und der Pfad quert die Südflanke der Cima Nord in den Sattel der Sella della Marzola, 1692 m. Von hier in zehn Minuten zum Gipfel der Cima Marzola Nord, 1738 m.
Rundsicht von der Marzola
Die Rundsicht ist wie angedeutet, wunderschön. Blickfang ist natürlich der Lago di Caldonazzo in der Tiefe der Valsugana. Darüber der Lagorai und die Cima Dodici mit ihrer gleichnamigen Kette. Im Westhalbrund geben sich viele Trentiner Berge die Ehre: Monte Baldo, Monte Stivo, Monte Bondone, Cima Palon, Adamellogruppe (Caré Alto!), die Zinnen und Türme der Brenta (davor die Paganella). Im Norden reicht die Sicht bis zur Ortlergruppe und zu den Ötztaler Alpen, davor der Mendelkamm. Und tief unten im Etschtal liegt Trento. Man kann hier oben stundenlang sitzen und schauen.
Der Abstieg wäre auch via Cima Marzola Sud und von dort auf dem Weg Nummer 438 zurück nach Vigolo Vattaro möglich. Da ich diesen nicht kenne, möchte ich hier keine Aussage zu den Anforderungen abgeben.
Ausgangs- und Endpunkt
Vigolo Vattaro am Altopiano della Vigolana. Gut ausgebaute Straße von Trento oder Matarello. Parkplatz nördlich oberhalb des Ortes bei Parkplatz bei der Agritur La Sabbionara. Busverbindung von Trento (Linie B303).
Zeiten & Höhenmeter
Vigolo Vattaro – Parkplatz – Piani di Vigo 1½ Std.
Piani di Vigo – Cima Marzola Nord 1¾ Std.
Cima Marzola Nord – Piani di Vigo 1¼ Std.
Piani di Vigo – Parkplatz – Vigolo Vattaro 1 Std.
1020 Hm, 950 Hm ab Parkplatz
Anforderungen & Jahreszeit
T3, Trittsicherheit in der steilen Flanke
Mai bis November, ansonsten wenn kein Schnee liegt
Tabacco: 062 Altopiano di Pinè – Valli di Chembra e dei Mocheni, 1:25 000. Beste Karte, enthält alle Wege auf und an der Marzola.
Kompass: 75 Valsugana, Trento, Piné, Levico, Lavarone, 1:50 000. Weniger detailliert, dafür wasser- und reißfest. Gute Karte mit der gesamten Valsugana.
Deutschsprachige Führer über die Region sind echte Raritäten. Mit ein wenig Italienisch-Kenntnissen sind aber auch italienische Wanderführer hilfreich.
Corradini, Mario: Bergwandern im Trentino, Athesia, Bozen, 1990. Tolles Bildwanderbuch mit zum Teil wunderschönen Bildern. Längst vergriffen und nur noch antiquarisch erhältlich.
Fabbro, Claudio: Valsugana Occidentale, euroedit, Trento, 2001.
Torchio, Fabrizio & Gardumi, Enzo: I Monti di Trento, Kompass, 2000.
Beide sind in Deutschland kaum erhätlich, evtl. antiquarisch. Am besten vor Ort bei Libreria Viaggeria in Trento versuchen.
Zimmermann, Benno: Vizentiner Alpen, Fleimstal – Lagorai – Valsugana – Monte Grappa – Monti Lessini, Bergverlag Rother, München, 2. Auflage 2024. Enthält viele interessante Touren in der Umgebung, aber keine zur Marzola.
Auf der hier vorgestellten Route gibt es keine Möglichkeit.
Rifugio Maranza (für die üblichen Anstiege von Westen)
Trentino Trasporti, Busverbindungen ab Trento, deutschsprachig
Trento, deutschsprachig
Valsugana, deutschsprachig
Vigolo Vattaro, deutschsprachig
Libreria Viaggeria, erstklassige Resiebuchhandlung in Trento, große Auswahl an (meist nur italienischsprachigen) Führern.
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