Prominenz am Alpenrand
Vom Bodensee, vom Hegau, aus Oberschwaben – von überall in meiner schwäbisch-alemannischen Heimat kann man den Säntis, 2502 m, sehen. Mit seinem Antennenstachel erreicht er sogar 2604 m. Er steht schon fast aberwitzig weit draußen über dem Flachland. Wie ein König ragt er direkt über den grünen Vorbergen des Appenzellerlandes empor. Weit und breit kein anderer Berg, der ihm seinen Rang streitig machen könnte. Er ist ein echter »Hammergipfel« – daran ändert auch die Säntisbahn nichts.
Nicht nur aufgrund seiner exponierten Position direkt am Alpenrand ist der Säntis eine der herausragenden Bergpersönlichkeiten der Alpen. Nach relativer Höhe zählt der Säntis zu den höchsten Gipfeln der Alpen: Er liegt an Nummer 13. In der Schweiz reicht es sogar für Platz 4! Seine Prominenz (Schartenhöhe = tiefste Einsattelung zum nächst höheren Gipfel) beträgt 2019 m. Er liegt damit weit vor bekannten Gipfeln wie Ortler, Piz Kesch, Tödi oder Gran Paradiso!
Auf dem Säntis treffen drei Kantone zusammen: Appenzell Innerrhoden, Appenzell Außerrhoden und St. Gallen. Das Schweizer Bundesgericht entschied dies 1895. Der korrekte orografische Dreiländerpunkt zwischen Appenzell Außerrhoden und St. Gallen wäre eigentlich der Girenspitz, mit 2446 m der zweithöchste Gipfel im Alpstein. Der Altmann, der diesen »Titel« üblicherweise trägt, ist elf Meter niedriger. Ohne Zweifel ist der Altmann jedoch das zweithöchste Massiv im Alpstein und bedeutender als der Girenspitz. Dieser wird üblicherweise nur als Vorgipfel des Säntis angesehen, obwohl seine Schartenhöhe immerhin ca. 50 Meter beträgt.
Geschichten vom Säntis
Was uns der Säntis alles erzählen könnte: Geschichten von Säumern, von Bergbahnprojekten, die nicht über den Projektstatus hinaus gekommen sind, vom Wetter, vom Rundfunk und sogar von Mördern – der Säntis hat nicht nur viele Anstiege zu bieten, sondern fast noch mehr Geschichten. Und wer sich manchmal über (zu) viele Wanderer am Berg wundert, der würde sich erst recht wundern, wenn einige der vielen Bahnprojekte Realität geworden wären. In 2025 soll eine neue Schwebebahn von der Schwägalp den Betrieb aufnehmen.
Das erste Gasthaus auf dem Säntis wurde bereits 1846 erbaut und seither mehrfach erweitert. Das »klassische« alte Berggasthaus existiert noch heute und trägt bezeichnenderweise den Namen Alter Säntis. Es ist in der Regel ab Mitte Mai geöffnet und ihr könnt hier übernachten. Aber Vorsicht, im Mai liegt rund um den Säntis meist noch viel Schnee und die Anstiege erfordern Bergerfahrung. Sicher begehbar sind die Wege meist ab Juli, nach schneearmen Wintern auch schon früher. Die Webcam am Säntis zeigt euch das Wetter und die aktuellen Schneeverhältnisse an.
Der Säntis ist auch als Wetterwarte von Bedeutung. Die Wetterstation wurde 1882 eingeweiht. Direkt Alpenrand ist der Säntis quasi der Fänger der Schlechtwetterfronten. Die Schneehöhe am Gipfel beträgt noch im April im Schnitt knapp 4 Meter, Ende April 2024 waren es fast 7 Meter!
Attraktiver Bergwandergipfel in der Schweiz
Natürlich könntet ihr den Gipfel bequem mit der Seilbahn erreichen. Der Anstieg per pedes ist dennoch lohnend. Die bestens markierten Wege sind zwar nicht selten überlaufen, aber sie bieten landschaftlich viel Abwechslung und wunderschöne Einblicke in den Alpstein, der eine kleine Welt für sich ist. Die Anstiege erfordern Trittsicherheit und zum Teil Schwindelfreiheit. Besonders den zum Teil ausgesetzten Anstieg ab der Talstation Schwägalp solltet ihr keinesfalls unterschätzen.
Gäbe es eine Rangliste der attraktivsten Bergwandergipfel der Schweiz, wäre der Säntis wohl ein Kandidat für die Top Ten. Vielleicht würde er um die Medaillen mitspielen … Eine Wanderung auf den Säntis zählt zu den schönsten in der Schweiz.
Erinnerungen, Erlebnisse & Geschichten
Das erste Mal war ich an einem Schulwandertag am Säntis. Nein, nicht mit meiner Schulklasse, sondern allein. Ich war bereits volljährig, hatte Führerschein und Auto. Aber ich hatte definitiv keine Lust, zu Hause im Flachland »herumzuwandern« und das Ganze auch noch mit Lehrern, auf die ich schon zweimal keine Lust hatte. Es war an einem 1. Oktober, ein wunderschöner klarer Tag und ich fuhr lieber zur Schwägalp und stieg von dort auf den Säntis. Fernsicht ohne Ende, keine Wolke am Himmel, Herbstwärme – ein perfekter Tag. Es ist eine schöne Erinnerung an eine meiner ersten Touren, auf denen ich solo unterwegs war. Damals stand in meiner Entschuldigung übrigens etwas von »Knieschmerzen«, von wegen Wandertag und so. Die hatte ich nicht einmal nach dem Säntis …
Meine alpinste Tour am Säntis machte ich knapp vier Jahre später, am Berggasthaus Mesmer vorbei über den Blau Schnee. Der Minigletscher war seinerzeit noch deutlich größer und hatte sogar kleinere Spalten. Heute existiert nur noch ein kleiner Rest in der Mulde nördlich unterhalb des Gipfels. Im Juli lag seinerzeit viel Schnee und die Querung der steilen Schneefelder unter der düsteren Nordseite des Säntis verliehen dem Ganzen ein alpines Ambiente. Zumindest war es für mich damals so, in noch jungen Jahren.
Und dann war da noch die Tour über Schafboden und den Chalbersäntis. Diese Route wird weniger begangen als die anderen Normalwege. Sie ist besonders aussichtsreich, der Blick nach Süden öffnet sich schon bald oberhalb vom Schafboden und bereits auf dem Chalbersäntis ist der Blick fast völlig frei. An diesem Tag habe ich zum ersten Mal die Gipfel der Adula vom Säntis bewusst wahrgenommen: Piz Vial, Piz Medel und Scopi. Es war Mitte September und unterwegs habe ich fast niemand angetroffen, nur auf dem Gipfel selbst war wie üblich viel los.
Anspruchsvoll trotz Seilbahn
Vielfach wird angenommen, dass der leichteste Anstieg zum Säntis bei der Talstation der Säntisbahn auf Schwägalp beginnt. Das ist mitnichten so. Nur weil der Säntis ein »Seilbahn-Berg« ist, gehört dieser Aufstieg nicht in die Kategorie »Radiowanderung«. Nicht umsonst trägt der letzte, sehr steile Anstieg zum Gipfel auch den Namen »Himmelsleiter«. Viele Unerfahrene begehen diesen Weg nach einer Seilbahnfahrt im Abstieg. Dies kann besonders im Frühsommer gefährlich, wenn hart gefrorene Altschneefelder gequert werden müssen.
Die Anstiege von Wasserauen sind zwar länger, dafür aber einfacher. Sie bieten außerdem unterwegs verschiedene Übernachtungsmöglichkeiten an. Der leichteste Anstieg, quasi der Normalweg zum Säntis, führt via Meglisalp zum Gipfel. Auch dort existierte unterhalb des Gipfels früher noch ein Minigletscher, der Gross Schnee. Er ist heute ebenfalls nur noch ein kleines Schneefeld, das vom Wanderweg nicht mehr berührt wird.
Den Weg bin ich mehrfach gegangen, einmal in Kombination mit dem Abstieg von der Wagenlücke zum Berggasthaus Mesmer. Dieser Weg ist steil und in den so genannten Mesmer-Kaminen mit Drahtseilen gesichert. Wenn ihr vom Mesmer hinaufschaut, könnt ihr euch kaum vorstellen, dass ein guter Weg durch diese steile Flanke führt. Ihr solltet die Route aber in jedem Fall erst dann begehen, wenn kein Schnee mehr liegt. Als ich dort im September nachmittags im Abstieg unterwegs war, ist mir niemand begegnet. Die Wagenlücke bildet die einzige natürliche Bresche im langen Kamm, der vom Säntis-Ostgrat über Bösegg und Rossmahd zum Seealpsee vorstößt.
Der Normalweg zum Säntis
Ab Wasserauen, 868 m, folgt ihr dem abschnittsweise steilen Güterweg zum Seealpsee, 1142 m. Vom hinteren Ende des Sees führt der gute Bergweg durch die steile Flanke bis zur untersten Felsstufe der Marwees. Hier quert der Weg teilweise ausgesetzt hinüber zur Meglisalp, 1517 m.
Von hier steigt der Weg in Kehren zu einer Schulter hinauf und quert dann die Hänge unter der Rossmahd bis knapp unter die Wagenlücke, 2074 m. Weiterhin bestens markiert, führt der Weg wie auf dem Bild unten sichtbar, durch Karrenfelder und Schutt. Zuletzt in Kehren über einen steileren Hang, teilweise versichert, zum Säntis, 2502 m.
Rundsicht vom Säntis
Die Aussicht vom Säntis ist durchaus sensationell. Er ist einer der ganz wenigen Gipfel der Schweiz, von dem aus alle fünf Nachbarländer der Schweiz zu sehen sind. Ihr blickt souverän über die Churfirsten hinweg auf die Bergwelt der Ost- und Zentralschweiz (Glärnisch, Tödi, Clariden, Titlis, Uri Rotstock) und weiter zu den Viertausendern der Berner Alpen. Im östlichen Halbrund stehen die Gipfel Liechtensteins und Vorarlbergs (Rätikon, Verwall, Lechquellengebirge, Bregenzerwaldgebirge). Davor der Alpstein mit seinen Gipfeln (Schafberg, Altmann, Hoher Kasten, Schäfler) und Tälern.
Im Süden reicht die Sicht über viele Bündner Berge bis zu den Gipfeln der Bernina (Piz Palü, Bellavista, Piz Bernina) mit ihren Gletschern. Richtung Norden schaut ihr über grüne Hügel und das Mittelland zum Bodensee und bei klarem Wetter bis zur Schwäbischen Alb und zum Schwarzwald.
Abstiegsalternative von der Wagenlücke
Wenn ihr trittsicher seid und der Weg schneefrei ist, könnt ihr ab der Wagenlücke, 2074 m, zum Berggasthaus Mesmer absteigen. Von der Lücke zunächst in nördlicher Richtung steil, aber auf gutem Steig, durch Schutt hinab. Nach einigen Kehren über Grasstufen zu den Mesmer-Kaminen. Der Weg hindurch ist steil und rutschig, aber bestens gesichert. Nach einer längeren Querung erreicht ihr das Berggasthaus Mesmer, 1613 m. Von hier auf einem teilweise steilen Wanderweg hinab zum Seealpsee. Der Zeitbedarf ist etwa gleich wie auf dem Normalweg, T3.
Ausgangs- und Endpunkt
Wasserauen im Alpstein, Endstation der Bahn von Appenzell (854). Gut ausgebaute Straße von Appenzell, großer Parkplatz.
Zeiten & Höhenmeter
Wasserauen – Meglisalp 2¼ Std.
Meglisalp – Säntis 2½ Std.
Säntis – Meglisalp 1¾ Std.
Meglisalp – Wasserauen 1¾ Std.
1640 Hm
Anforderungen & Jahreszeit
T3, Trittsicherheit, Vorsicht bei Schnee!
Juli bis Oktober
Swisstopo 25, 1115 Säntis, das perfekte Blatt für den Säntis.
Swisstopo 33, 3301 T Säntis, wasserfest, Vergrößerung der 50er-Karte, mit Wanderwegen, enthält alle Anstiege zum Säntis.
Swisstopo-App für Smartphone und Tablet.
Mehr Infos bei Swisstopo.
Hunziker, Manfred: Clubführer Säntis – Churfirsten, SAC Verlag, Bern, 1999. Beschreibt alle Berge zwischen Appenzell und dem Walensee. Mehr geht nicht, sehr empfehlenswert!
Schatz, Ruedi: Säntisführer, St. Gallen, 10. Auflage 1976. Der fast schon legendäre »Klassiker«, veraltet und nur noch antiquarisch erhältlich. Ein schönes Stück Alpinhistorie aus einer Zeit, in der Informationen über Berge ein rares Gut waren!
Hürlemann, Hans: Säntis – Ziel vieler Träume, Herisau, 2006. Die Geschichte der Bahnprojekte auf den Säntis, sehr lesenswert.
Meier, Bruno: Säntiswetter – Geschichte der Wetterwarte vom Säntis 1882-1970, Herisau, 1996.
Weitere Bücher und Wanderführer über Appenzellerland, Säntis und Alpstein findet ihr bei https://shop.buecherladen-appenzell.ch
Rund um den Säntis gibt es eine sehr große Auswahl an Berggasthäusern und Unterkunftsmöglichkeiten, ähnlich wie am Hohen Kasten.
Wasserauen ist Endstation der Züge der Appenzeller Bahnen (854) von Appenzell, Herisau und St. Gallen.
Der »Abstieg« vom Säntis ist auch per Seilbahn nach Schwägalp (2730) möglich. Von der Talstation Bus nach Urnäsch oder Nesslau (80.791). In beiden Orten besteht Bahnanschluss.
Die Schweiz hat das beste System des öffentlichen Verkehrs – zumindest im Alpenraum. Ich selbst habe ein Halbtax-Abo (quasi die »Schweizer Bahncard«). Dieses ist nicht nur in den Zügen, sondern auch in Bussen und vielen Bergbahnen gültig. Infos zu den besten Verbindungen gibt’s hier:
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