Leichter 3000er in der Schweiz
Den Piz Lischana kennt man recht gut. Gemeinsam mit Schloss Tarasp ziert er so manches Kalender- und Postkartenbild. Gleichzeitig ist er einer der populärsten leichten 3000er der Schweiz. Laut Heinz Enz, dem früheren Hüttenwart der Lischanahütte, an den ich mich sehr gerne erinnere, weist der Piz Lischana pro Jahr 1500 – 2000 Begehungen auf. Die Zahlen leitete er aus den Hüttenbüchern ab, in die sich die Tourengänger meist eintragen.
Der Weg zum Piz Lischana ist sehr lohnend, aber auch anspruchsvoll. Er zählt gerade noch zu den leichten 3000ern, ist aber definitiv kein Gipfel für Einsteigerinnen & Einsteiger! Bereits der Anstieg zur Fuorcla da Rims verlangt im Geröll und in den leichten Felsstufen Trittsicherheit, am Grat ist zusätzlich Schwindelfreiheit nötig. Die Anstrengungen lassen sich mit einer Übernachtung in der Chamonna Lischana auf zwei Tage verteilen. Für Konditionsstarke ist der Berg aber auch an einem Tag gut machbar.
Wer das Glück hat, so wie ich an einem Traumtag im Oktober oben zu stehen, der wird den Piz Lischana zu den schönsten Gipfeln zählen. Dazu ein Abend auf der Chamonna Lischana, wenn tief unten in Scuol die Lichter leuchten. Unvergesslich!
Felssturz am Piz Lischana
Leider ist der höchste Punkt offiziell noch immer gesperrt: Am 31. Juli 2011 ist bei einem Felssturz ein großer Teil des Gipfelsturms auf der Ostseite abgebrochen. 2000 Kubikmeter Gestein sollen es gewesen sein. Da man weitere Felsstürze befürchtete, wurde der Gipfelkopf gesperrt und ein neuer, provisorischer Gipfelstandort mit Gipfelbuch eingerichtet. Der höchste Punkt darf aus Sicherheitsgründen nicht mehr betreten werden. Vermutlich wird das auch so bleiben. Über mögliche Veränderungen im Gelände erkundigt ihr euch am besten auf der Chamonna Lischana.
Meine Aufnahmen sind ein paar Jahre vor dem Felssturz entstanden, in 2007. Sie sind also fast schon als »historisch« zu bezeichnen.
Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, den Piz Lischana zu besteigen: Ab S-charl durch die Fora da l’Aua. Der Anstieg ist deutlich anspruchsvoller, zum Teil ausgesetzt und verlangt absolute Trittsicherheit. Wir haben den Weg im wechselhaften Sommer 1987 im Auf- und Abstieg gemacht und fanden ihn damals grenzwertig. Wie mir eine Gastgeberin aus S-charl in 2007 mitteilte, sei der Steig in den letzten Jahren eher noch schwieriger geworden, weil er nach Regenfällen immer wieder abrutschen würde. Diese Angaben sind ohne Gewähr. Der Steig ist als alpine Route blau-weiß markiert und ihr solltet ab S-charl mit ca. 4-5 Std. Anstiegszeit zum Piz Lischana rechnen, T4-T5.
Unterengadiner Dolomiten
Südlich über dem Engadin bei Scuol erheben sich die Unterengadiner Dolomiten. Die wilden, teils bizarren Gipfel bilden die beeindruckende Nordfront der Sesvennagruppe zwischen Val Sampuoir bei Ardez un dem Piz Lad im Dreiländereck. Die hellen Dolomitgesteine stehen im krassen Gegensatz zu den dunklen Gneisgipfeln der Silvrettagruppe auf der gegenüberliegenden Talseite. Den besten Überblick über die wilden Gipfel der Unterengadiner Dolomiten hat man wohl von Ftan, einem Dorf, das hoch über dem Unterengadin liegt. Aber auch Sent und Ardez eignen sich hierfür gut.
Die Unterengadiner Dolomiten sind ein Teil eines geologischen Fensters, des Engadiner Fensters. Sedimentgesteine, vor allem Hauptdolomit, sind hier in kristalline Gesteine (überwiegend Gneise) eingeschlossen und treten dort an die Oberfläche. Verantwortlich dafür ist die Grenze der beiden Gesteinsdeckensysteme Ostalpin und Penninikum.
Der Piz Lischana besteht im Gipfelbereich aus Radiolarit, einem aus Mikroorganismen aufgebauten Sediment, das in längst vergangenen Zeiten in der Tiefsee abgelagert wurde. Der Radiolarit vom Piz Lischana ist am Gipfelkopf auffällig rot gefärbt, wie die beiden Aufnahmen ganz unten zeigen.
Der Piz Lischana ist nicht der einzige leichte 3000er in der Region. Aber er ist markanter als die anderen und der einzige, der vom Tal zu sehen ist. Andere leichte 3000er der Region, wie das Duo Piz Rims & Piz Cristanas, verstecken sich dezent im Hinterland. Sie sind einfacher zu besteigen als der Piz Lischana, werden aber eher von S-charl oder der Sesvennahütte, die bereits in Südtirol liegt, besucht.
Wanderung zur Chamonna Lischana
Von Scuol, 1198 m, folgt ihr dem markierten Weg, der mehrfach die Straße nach S-charl kreuzt bis zum Parkplatz der Chamonna Lischana Jon, ca. 1420 m. Alternativ auch mit dem Bus bis zur Haltestelle San Jon, 1389 m, und von dort der Straße entlang zum Hüttenparkplatz.
Vom Hüttenparkplatz San Jon führt der Weg zunächst wieder ein wenig flacher direkt in die Val Lischana, zwischen Piz San Jon und Piz Lischana, hinein. Die Lärchen werden weniger, das Gelände steiler und die Aussicht weiter. Der kurzweilige, gut angelegte Weg steigt in vielen Kehren an und erreicht schon bald die Chamonna Lischana, 2500 m, die sich rechts vom Weg auf einem kleinen Absatz befindet. In der Nähe der Hütte sind vor allem abends und morgens immer wieder Steinböcke zu beobachten, die sich hier offensichtlich sehr wohl fühlen. Ob sie wohl wissen, dass sie sich hier gar nicht mehr im Nationalpark befinden?
Wanderung zum Piz Lischana
Oberhalb der Hütte führt der Steig durch karge und steile Alpweiden und quert schon bald die ersten Schuttfelder. Durch eine Rinne und in Kehren geht’s auf die nächste Stufe. Von dort quert der Steig eine Schutthalde zum Sattel. Die Fuorcla da Rims, 2954 m, ist keine Scharte im üblichen Sinn, sondern eher eine Art Hochplateau. Der Kontrast in dieser Weite zur engen Val Lischana ist eindrücklich. Ihr steigt aber nicht bis ganz in die Fuorcla da Rims ab. Der eigentliche Sattel mit dem tiefsten Punkt befindet sich noch ein gutes Stück weiter südlich.
Der Gipfelanstieg wendet sich bereits bei P. 2975 in nordwestlicher Richtung und erreicht über einen Zickzack-Weg im Schutt den Vorgipfel, 3043 m. Hier seht ihr zum ersten Mal den Grat, der zum Gipfel hinüber leitet. Auch das kleine Weglein knapp darunter ist gut sichtbar. Es führt in leichtem Auf und Ab Richtung Gipfel bis zum Sattel wo die steile Schuttrinne zur Chamonna Lischana beginnt. Von hier auf dem Weglein über die Kammhöhe. Am letzten Vorgipfel stehen wir dann direkt unter dem beeindruckenden Gipfelkopf. Der letzte Abschnitt durch rötlichen Schutt ist nochmals steil. Etwa 10 Höhenmeter unter dem Gipfel befindet sich der neue Gipfelstandort. Das Bild unten dürfte etwa an der Stelle entstanden sein.
Rundsicht vom Piz Lischana
Die Rundsicht ist famos. Der eigentliche Gipfel verdeckt nur einen kleinen Teil davon. Neben vielen Engadiner Gipfeln zeigen sich Ötztaler Alpen, Ortler, Cima di Piazzi, Bernina und Tödi. Wilde und unbekannte Berge imponieren in der näheren Umgebung.
Beeindruckend sind die Tiefblicke ins Unterengadin. Angeblich soll der Tiefblick auf Scuol von hier aus nicht mehr möglich sein. Das erschließt sich mir nicht, denn vom »alten« Gipfel war es auch nicht möglich, wie das Bild unten belegt. Die schneebedeckte Erhebung links von der Bildmitte dürfte der neue provisorische Gipfel des Piz Lischana sein.
Abstiegsvarianten vom Piz Lischana
Für den Abstieg gibt es zwei Alternativen. Die anspruchsvolle, die wie oben angedeutet, zum Teil sehr steil nach S-charl hinab führt. Und dann gibt es noch den Weg über die Seenplatte von Rims und Uinaschlucht. Eine wunderschöne Tour, aber in Kombination mit dem Piz Lischana an einem Tag sehr, sehr anstrengend. Und ihr müsst euch sputen, um in Sur En noch den letzten Bus nach Scuol zu bekommen. Meine Empfehlung ist daher, am ersten Tag zur Hütte und nachmittags noch auf den Piz Lischana zu steigen und am zweiten Tag dann Lais da Rims und Uinaschlucht. So empfiehlt es auch die Homepage der Chamonna Lischana. Okay, ihr müsst dann die 500 Höhenmeter zur Fuorcla da Rims zweimal steigen. Aber ihr habt an beiden Tagen mehr Zeit, könnt die Momente am Piz Lischana intensiver genießen und am zweiten Tag unterwegs noch den Piz Rims mitnehmen. So habe ich es seinerzeit gemacht. Von der Chamonna Lischana bis Sur En solltet ihr mit 5½ Std. rechnen.
Hinweis: Einige der Bilder sind noch als Dia aufgenommen. Daher bitte ich um Nachsicht, wenn die Qualität bei diesen Bildern nicht so gut ist, wie man es sich vielleicht wünschen würde.
Ausgangs- und Endpunkt
Scuol, Hauptort im Unterengadin, erreichbar auf der Kantonsstraße von Zernez. Alternativ von Davos über den Flüelapass oder von Österreich ab Landeck durchs Oberinntal via Pfunds. Wesentlich bequemer geht es mit der Rhätischen Bahn ab Landquart via Klosters durch den Vereinatunnel, mit umsteigen in Sagliains (910, 960).
Zeiten & Höhenmeter
Scuol – Parkplatz San Jon 1 Std.
Parkplatz San Jon – Chamonna Lischana 2½ Std.
Chamonna Lischana – Fuorcla da Rims 1½ Min.
Fuorcla da Rims – Piz Lischana 1 Std.
Piz Lischana – Fuorcla da Rims 45 Min.
Fuorcla da Rims – Chamonna Lischana 1 Std.
Chamonna Lischana – Parkplatz San Jon 1¾
Parkplatz San Jon – Scuol 45 Min.
1910 Hm ab Scuol
1710 Hm ab San Jon
Anforderungen & Jahreszeit
T4+, anspruchsvoll, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit am Grat
Juli bis September, bei spätem Wintereinbruch evtl. noch im Oktober
Swisstopo 33, 3327 T Unterengadin (wasserfest, Vergrößerung der 50er-Karte). Die perfekte Karte für diese Tour. Enthält auch den Abstieg durch die Uinaschlucht, jedoch nicht den Anstieg ab S-charl. Hierfür am besten die Zusammensetzung von Swisstopo 50, 5017 Unterengadin – Engiadina Bassa verwenden, allerdings ohne Eintrag der Wege und Steige.
Wenn ihr lieber mit der 25er unterwegs seid – für diese Tour benötigt ihr zwei Blätter (1199 Scuol & 1219 S-carl).
Swisstopo-App für Smartphone und Tablet
Infos und Blattschnitte bei Swisstopo.
Gujan, Peter & Hartmann, Gian Andrea: Alpine Touren Silvretta / Unterengadin / Münstertal, SAC Verlag, Bern, 2010. Mit einem ausführlichen Abschnitt zur Geologie.
Scuol ist Endbahnhof der Engadinlinie (960). Von hier regelmäßige Verbindungen ins Oberengadin und nach Sagliains, dem Ostportal des Vereinatunnels und weiter durch den Vereinatunnel nach Klosters und Landquart (910).
Wer noch die Runde über die Seenplatte von Rims und die Uinaschlucht anhängen muss, hat in Sur En einen Busanschluss nach Scuol (90.923). Der letzte Bus nach Scuol fährt um 18:00 Uhr (Stand Oktober 2023).
Die Schweiz hat das beste System des öffentlichen Verkehrs – zumindest im Alpenraum. Ich habe selbst ein Halbtax-Abo (»Schweizer Bahncard«). Das Halbtax ist nicht nur in den Zügen, sondern auch in Bussen und vielen Bergbahnen gültig. Die Bahntickets sind nicht gerade preiswert, Parkplätze und Parkhäuser aber auch nicht.
Infos zu Preisen und Verbindungen:
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