Lawinengefahr beim Schneeschuhwandern

Auf dem Bild sieht man eine Lawine, die vom steilen Hang links oben nach rechts unten abgegangen ist. An machen Stellen schaut der grasige Untergrund heraus. Im Hintergrund sieht man in der Bildmitte den Thaneller im Außerfern und dahinter der Daniel-Kamm in den Ammergauer Alpen. Die Berge sind alle tief verschneit. Der Himmel ist blau und wolkenlos.
Eindrucksvoll – Grundlawine an der Abendspitze in den Lechtaler Alpen

Lawinen – geheimnisvoll & gefährlich

Lawinengefahr bedeutet Lebensgefahr. Daran gibt es keinen Zweifel. Lawinen lösen sich ab einer Steilheit von 30°. In manchen Publikationen habe ich auch schon von 27° gelesen. Die amtlichen Kartenwerke und auch OSM bieten in Kartenviewern im Internet die Option an, Hänge mit 30° oder mehr einzufärben. Swisstopo hat zudem gedruckte Karten mit eingezeichneten Ski- und Schneeschuhrouten im Angebot, in denen Hänge ab 30° rot eingefärbt sind. Dies ist eine erste Möglichkeit, um Touren auszuschließen, die durch (zu) steile Hänge führen.

Die Lawinengefahr hängt insgesamt von mehreren Faktoren ab: Steilheit, Schneemenge, Wind, Sonneneinstrahlung, Temperatur und Mensch.

Wer oder was löst eine Lawine aus? Laut SLF werden rund 90% aller Lawinen auf Touren vom Mensch ausgelöst. Andere Quellen sprechen von 95 %. »Lawinenpapst« Werner Munter schreibt dazu, dass es sehr selten vorkommt, dass man von einer Spontanlawine erfasst wird. Spontanlawinen sind vor allem bei den Gefahrenstufen 4 (groß) und 5 (sehr groß) zu erwarten. Angesichts der Tatsache, dass beide Warnstufen im Jahr nur selten (4) oder sehr selten (5) vorkommen, sollte Verzicht also kein großes Problem sein.

Auf vielen einfachen Schneeschuhwanderungen ist die Lawinengefahr nur bei sehr schlechten oder extremen Bedingungen ein Thema. Dennoch solltet ihr euch damit befassen, schließlich ist die Lawinengefahr nicht gleich null, wenn in einem Führer oder auf einem Blog die Rede von »wenig« oder »kaum lawinengefährdet« ist. Bereits die Stufe WT2 der Skala für Schneeschuhwanderungen des SAC, erfordert Grundkenntnisse im Beurteilen der Lawinensituation! Die Stufe WT2 ist typisch für viele Schneeschuhwanderberge in den Voralpen. Ausführliche Infos zur Skala findet ihr im Beitrag Schneeschuhwandern für Anfänger.

Ob in eurer Region sichere Verhältnisse herrschen, darüber geben euch die Lawinenwarndienste Auskunft. Die Lawinenlageberichte werden täglich aktualisiert, mit einer Prognose für die kommenden Tage. Meist beruhigt sich die Lawinensituation schon bald wieder.

Wenn wir nun tiefer in die Materie einsteigen, kommen wir an einer Person nicht vorbei: Der bereits erwähnte Werner Munter ist die wohl bedeutendste Person der modernen Lawinenforschung.

Werner Munter

Werner Munter wird oft als »Lawinenpapst« bezeichnet, obwohl er diesen Begriff nicht mag. Dabei geht es nicht unbedingt darum, ihn mit dem Kirchenoberhaupt zu vergleichen, sondern um die besondere Würdigung seiner Arbeit. Seit er die Reduktionsmethode entwickelte, halbierte sich die Zahl der Lawinentoten in der Schweiz.

Werner Munter verfolgt seit vielen Jahren einen anderen Ansatz in der Lawinenkunde: Statt Rettung von Verschütteten mit LVS oder Analyse von Schneeprofilen stellt er eine entscheidende Frage ins Zentrum: Gehen oder nicht gehen? Es geht ihm um Prävention durch das Erkennen von Unfallmustern. Als er seine Thesen vorstellte, waren diese quasi revolutionär und wurden nicht sofort und nicht überall goutiert. Auf Strecke setzte sich jedoch sein Ansatz der Risikoreduktion durch. Er ist heute überall anerkannt, auch wenn es alternative Methoden gibt.

Eine seiner wichtigsten Thesen: Null Risiko gibt es nicht. Wer das möchte, darf sich nicht einmal in ein Auto setzen. Aber man kann das Risiko durch eine sorgfältige Planung und Abwägung minimieren.

Mit der Haltung und den Ideen von Werner Munter kann ich mich voll und ganz identifizieren. Im Beitrag Eigenverantwortung in den Bergen schrieb ich vor einiger Zeit, dass es Freiheit nur mit Verantwortung geben kann – eben der Eigenverantwortung. Werner Munter sagte dazu im Interview Risiko ist ein Menschenrecht im Zürcher Tages-Anzeiger in 2015: »Freiheit heißt für mich, du kannst selbstständig entscheiden. Du bist selber verantwortlich für das, was du entschieden hast.« Die Idee von hundertprozentiger Sicherheit führe indes genau ins Gegenteil: »Stellen wir uns eine Gesellschaft vor, in der jede Tätigkeit abgesichert ist. Dann leben wir in einer Diktatur, alles wird überprüft und kontrolliert. Dann entscheidest nicht mehr du selber, dann bist du ein Hampelmann, ein Automat, der gesteuert wird.« Kann man es treffender formulieren?

Schneeschuhtouren planen mit der Reduktionsmethode

Es gibt verschiedene Reduktionsmethoden (= Reduzierung des Risikos). Alle gehen davon aus, dass es ein akzeptiertes Restrisiko gibt. Keine verspricht eine absolute Sicherheit, die es auch niemals geben kann. Im Zentrum steht immer die Frage ja oder nein – gehen oder nicht gehen.

Wichtigste Faktoren der Reduktionsmethode sind Hangneigung und Gefahrenstufe. Die statistische Wahrscheinlichkeit, in eine Lawine zu geraten, steigt mit der Hangneigung und der Gefahrenstufe an. Hieraus leiten sich die elementare Reduktionsmethode nach Werner Munter und Reduktionsmethode für Einsteiger des SLF ab.

Die elementare Reduktionsmethode von Werner Munter besagt, dass ein bestimmtes Gelände je nach Gefahrenstufe nur bis zu einer spezifischen Steilheit begangen werden darf:
– bei Stufe 2, mäßig, unter 40°
– bei Stufe 3, erheblich, unter 35°
– bei Stufe 4, groß, unter 30°

Ich bin nun eher noch etwas vorsichtiger unterwegs und vielleicht würde Werner Munter sagen, dass ich schon ein wenig mehr riskieren dürfte …

In der Praxis sieht das bei mir wie folgt aus: Das täglich aktuelle Lawinenbulletin des SLF oder einer der anderen Lawinenwarndienste in den Alpenländern ist meine erste Entscheidungsgrundlage. Bei den Lawinenwarnstufen 4 und 5 bleibe ich zu Hause oder gehe in eine andere Region. Beide Warnstufen kommen eher selten vor und ein Verzicht ist für mich kein Problem. Bei Lawinenwarnstufe 3 gehe ich nur auf Touren, deren steilste Stellen weniger als 30° steil sind und wo bestenfalls keine Lawinen von umliegenden steilen Hängen drohen.

Das heißt nicht, dass Lawinen dann völlig ausgeschlossen sind und selbst bei Lawinenwarnstufe 2 könnte ich eine falsche Entscheidung treffen und ein Schneebrett auslösen. Aber ich versuche mein Risiko zu minimieren. So plane ich seit jeher meine Schneeschuhtouren. Auf diese Weise kam ich noch nie in eine brenzlige Situation.

Mein Vorgehen entspricht letztlich der Reduktionsmethode für Einsteiger des SLF. Auch hier darf ein bestimmtes Gelände je nach Gefahrenstufe nur bis zu einer spezifischen Steilheit begangen werden. Allerdings sind hier die Neigungsklassen jeweils um 5° niedriger als bei Werner Munter – eben für Einsteiger!
– bei Stufe 2, mäßig, unter 35°
– bei Stufe 3, erheblich, unter 30°
– bei Stufe 4, groß, unter 25°

Wer von euch sich mit Schneeschuhen auf sehr anspruchsvolle Touren in den Bereichen WT4-WT6 begeben möchte, dem würde ich empfehlen, sich näher mit der professionellen Reduktionsmethode zu beschäftigen. Sie ist einiges umfangreicher, verlangt viel Wissen und Kenntnisse und sie ist auch mit Aufwand verbunden. Aber sie bietet letztlich ein besseres Gefühl für die »richtige Entscheidung«. Bei Skitourenguru findet ihr eine Übersicht über die Reduktionsmethoden (jeweils auch als Download).

Hier ist also eure Eigenverantwortung gefragt. Zur Erinnerung: 100% Sicherheit gibt es nicht! Aber ihr könnt das Risiko durch eine sorgfältige Planung und Abwägung minimieren. Das bedeutet, dass ihr euch vor der Tour mit dem Gelände (Neigung, Exposition) und der Lawinengefahr auf eurer Tour beschäftigen solltet. Mit dem Lawinenbericht und Karten, in denen die Steilheit des Geländes eingetragen ist. Damit lässt sich meiner Ansicht nach schon einiges klären. Sicher kann man darüber streiten, ob dies vielleicht zu einfach ist oder andererseits zu defensiv. Aber es ist ein erster Ansatz.

Übrigens solltet ihr auch nicht in eine Art »gesellschaftliche Falle« tappen, nach dem Motto »wo viele unterwegs sind, kann nichts passieren«. Nur weil gerade viele Tourengänger auf eurer Route unterwegs sind, bedeutet dies nicht, dass sie lawinensicher ist!

Noch etwas: Mit Schneeschuhen ist man gegenüber Skiern deutlich im Nachteil. Mit ein paar Schwüngen kann zumindest versuchen, aus der Gefahrenzone zu gelangen. Aber mit Schneeschuhen?

Top Ausrüstung = 100% Sicherheit?

Von allen Seiten ist die übliche Empfehlung für Wintertouren die Mitführung eines LVS (Lawinenverschüttetensuchgerät) und einer Schaufel. Dem möchte ich hier nicht widersprechen. Aber wie sehen eure Chancen aus, wenn ihr verschüttet werdet – auch mit LVS? Nun, die Aussichten sind dann nicht allzu rosig – schon nach 15 Minuten sinken eure Überlebenschancen rapide. Und selbst wenn ihr nicht verschüttet werdet, kann es zu schweren Verletzung kommen. Nach Werner Munter betrifft dies 25% aller Lawinentoten. Meiner Ansicht nach suggeriert das LVS eine Sicherheit, die es nicht gibt. Werner Munter argumentiert im Hinblick auf Airbag und Helm bei Skitouren ähnlich – eine trügerische Sicherheit, die nicht existiert.

Was in dieser Diskussion außerdem viel zur kurz kommt, sind mögliche psychische Folgen einer Verschüttung. 40% aller Vollverschütteten entwickeln im Anschluss eine posttraumatische Belastungsstörung! Mehr dazu lest ihr beim SAC im Interview Wenn der Horror nach dem Bergunfall nicht mehr nachlässt.

Besonders für Einzelgänger ist ein LVS keine große Hilfe, außer es bekommen andere Tourengänger, die zufällig gerade in der Nähe sind, die Verschüttung mit. Wer sollte die Person sonst finden? Oder soll man etwa zu Hause bleiben, weil man keinen Tourenpartner habe? Als Einzelgänger hat man weniger Spielraum und muss daher vorsichtiger agieren. Hierzu sagt Werner Munter in seinem Buch 3×3 Lawinen sinngemäß, dass vorsichtige Menschen weniger Unfälle verursachen, als solche, die glauben, alles im Griff zu haben.

Es ist und bleibt in jedem Fall eure Entscheidung, ob ihr ein LVS nutzt. Dafür seid nur ihr selbst verantwortlich. Weder ich noch jemand wie Werner Munter kann euch diese Entscheidung abnehmen. Natürlich solltet ihr auch mit der Technik umgehen können …

Egal wie gut ihr ausgerüstet seid, aber eure Ausrüstung beeinflusst weder das Gelände noch die Lawinenwarnstufe. Ihr seid lediglich für den Fall gewappnet, wenn ihr von einer Lawine verschüttet werdet. Aber soweit sollte es erst gar nicht kommen. Oder um es mit Werner Munter zu formulieren: »Experte, pass auf: Die Lawine weiß nicht, dass du Experte bist.«

Meine Intention ist eine ganz andere: Ich will gar nicht erst von einer Lawine verschüttet werden. Daher ist meine Tourenplanung eher defensiv. Okay, vielleicht gehen mir dadurch manchmal spannende Touren durch die Lappen, die mit etwas mehr Risikobereitschaft möglich gewesen wären. Aber wie sagt Werner Munter dazu: Er sei bereit, »zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu verzichten. So bewege ich mich im genannten Risikofaktor, im Alltäglichen. Die Berge verlangen Geduld und Verzicht.«

Das habe ich in den Bergen schon oft gemacht: verzichtet. Manchmal muss man eben zweimal oder vielleicht auch dreimal wiederkommen. Oder wie der Hersteller Ortovox schreibt: »Auch Verzicht kann ein Erfolg sein – vor allem im Bergsport!« Dort findet ihr eine sehr übersichtliche Darstellung zum Thema Lawinengefahr.

Die Gefahrenstufen für Lawinen

Die einheitliche Lawinengefahrenstufenskala wurde im Winter 1993/94 von den Europäischen Lawinenwarndiensten im Alpenraum eingeführt. Die Details der Stufen findet ihr bei Lawinen.report oder ausführlich beim SLF zum Download oder bei allen Lawinenwarndiensten. Hier nur ein erste Übersicht:

1 Gering = nur in extrem steilen Hängen problematisch

2 Mäßig = mehrheitlich günstige Verhältnisse, aber 30% aller Todesopfer

3 Erheblich = quasi die »riskanteste Stufe« mit 50% aller Todesopfer

4 Groß = nur mäßig steiles Gelände begehen, ansonsten sehr riskant

5 Sehr groß = hier bleibt man in jedem Fall besser zu Hause

In der Schweiz wurden vom SLF auf vielfachen Wunsch vor einiger Zeit Zwischenstufen +/- eingeführt, um differenziertere Prognosen zu ermöglichen. Die anderen Alpenländer sind dem bislang nicht gefolgt.

Zum Thema Lawinen gibt es zwei ausgezeichnete Werke, die einen Einblick in die zum Teil komplexe Materie ermöglichen. Beide beinhalten viel interessantes Hintergrundwissen, aber mit zwei unterschiedlichen Ansätzen.

Als Nicht-Fachmann würde ich eher 3×3 Lawinen von Werner Munter bevorzugen, denn das zweifellos sehr gute Werk von Mair & Nairz verlangt nach meiner Einschätzung mehr Grundlagenkenntnisse.

Munter, Werner: 3×3 Lawinen, Risikomanagement im Wintersport, Athesia-Tappeiner, Bozen, 7. Auflage 2023.

Mair, Rudi & Nairz, Patrick: lawine. Das Praxis-Handbuch: Die entscheidenden Probleme und Gefahrenmuster erkennen, Tyrolia, Innsbruck, 6. Auflage 2018.

Mersch, Jan & Engler, Martin: SnowCard, Lawinen-Risiko-Check, Risikomanagement für Skitourengeher, Snowboarder, Variantenfahrer, Schneeschuhwanderer, DAV, München 2020. Aktualisierte Version mit komplett überarbeitetem Begleitheft. Für einen schnellen und einfachen Risiko-Check zur Lawinengefahr. Die SowCard hat sich über die Jahre als Entscheidungshilfe auf zahlreichen Ski- und Schneeschuhtouren sowie beim Freeriden bewährt. Sie vermittelt realistische Informationen über das persönliche Risiko. Die Entscheidung über »ja/nein« bleibt bei der Person. Die Autoren betonen, dass es im winterlichen Hochgebirge niemals eine absolute Sicherheit geben kann. Dies entspricht auch dem Grundansatz von Werner Munter.

Lawinenwarndienst Bayern

Lawinen Report – Tirol-Südtirol-Trentino

Lawinenbericht Vorarlberg

Institut für Schnee-und Lawinenforschung SLF
Publikationen des SLF

Übersicht Lawinenwarndienste in den Alpen

Auf der Seite Skitourenguru findet ihr gut aufbereitetes Infomaterial. Auch wenn die Seite für Skitourengänger gemacht ist: Eine Lawine unterscheidet nicht zwischen Ski oder Schneeschuh.

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