Wandern im südlichen Lechquellengebirge
Das Klostertal zwischen Bludenz und dem Arlbergpass wird auf seiner Nordseite von einer sehr eindrucksvollen Bergkette begleitet. Es sind zerklüftete Gipfel, gespickt mit Zacken und Türmen, die aus den Wänden und Schrofenflanken ragen. Bei Unwettern gehen hier oftmals große Muren ab, die mitunter große Schäden an der Bahnlinie, aber auch an der Arlbergschnellstraße S16 verursachen. So wie Ende August 2005, als die Bahnlinie auf beiden Seiten des Arlbergs unterbrochen und auf der Tiroler Seite bis Dezember gesperrt war.
Die Bergkette zählt zum Lechquellengebirge, einer kleineren Gebirgsgruppe in den Nördlichen Kalkalpen. Direkt über Braz ragt die Gamsfreiheit mit ihrer wilden Südwand auf. Ein mächtiger Gipfel, der gemeinsam mit dem Roggelskopf schon vom Taleingang auffällt. Von dieser Seite scheint es kein Durchkommen zu geben. Oder doch?
Von dieser Seite scheint es kein Durchkommen zu geben. Oder doch? Erstaunlicherweise verläuft durch diese steile Flanke über dem Klostertal ein Anstieg – der Hinterbirgweg. Er verläuft in der Mitte der Steilflanke über eine Art Terrasse zwischen den sehr steilen Wandabschnitten. Der zum Teil versicherte Steig wurde durch Unwetter zerstört, sodass er nicht mehr begehbar war. Der Alpenverein Vorarlberg setzte ihn ab 2021 wieder instand. Folgendes Bild zeigt die wilde Südwand des Berges von der Davenna, südlich des Klostertals.

Auch die Nordflanke oberhalb von Marul im Großen Walsertal bricht in steilen Felsschrofen ab, wenn auch längst nicht so steil wie die Südwand.
Zahmer gibt sich der Berg von Osten und Westen. Von beiden Seiten führen markierte Steige über den Gipfel. Perfekt für eine Überschreitung. Der Steig von Osten erfordert nur in der Gipfelregion Trittsicherheit. Etwas anspruchsvoller ist der westseitige Anstieg, der im obersten Abschnitt mit gesicherten Passagen aufwartet.
Zur Unterscheidung von anderen gleichnamigen Bergen wird der Gipfel bisweilen auch als Klostertaler Gamsfreiheit bezeichnet. So gibt es nicht weit entfernt im Rätikon unterhalb der Drei Türme einen Vorgipfel mit dem selben Namen. Der Name Gamsfreiheit bedeutet schlicht, dass Gämsen hier nicht geschossen werden, weil sie in dem steilen Gelände abstürzen würden.
Wege & Steige auf die Gamsfreiheit
Die Gamsfreiheit ist kein einsamer Gipfel, aber auch nicht überlaufen. Das hat einen guten Grund: Unter 3 Std. ist der Berg nicht zu haben. Von der Fraßenhütte (auch dort muss man erst einmal hin) sind es 3 Std., ab der Bergstation Muttersberg Seilbahn, der Freiburger Hütte und der Haltestelle Fuchswald via Faludrigaalpe jeweils etwa 3½ Std. Auf dem Anstieg via Novafürkele sind es 4½ Std., bei 1390 Hm!
Für Wanderinnen & Wanderer mit einer guten Kondition ist die Gamsfreiheit ein sehr attraktiver Gipfel. Hier schlage ich euch eine interessante Überschreitung vor, die eine sehr abwechslungsreiche Rundtour ergibt. Die Tour erfordert neben einer guten Kondition Trittsicherheit in der Gipfelregion und beim steilen Abstieg von der Tiefenseealpe. Die Wege & Steige sind bestens markiert und ausgeschildert.
Der Weg zwischen Novafürkele und Gamsfreiheit war für mich der schönste Abschnitt der Tour. Der Blick über das Hochtal von Faludriga zu den wilden Gipfeln um das Weiße Rössle ist unbeschreiblich schön. Noch besser wird es dann, wenn am Faludrigasattel der Roggelskopf und die Gipfel im Verwall auftauchen, wie folgende Aufnahme zeigt.

Die Überschreitung des Novafürkele ist jedoch nicht zwingend und kostet einen Gegenanstieg von 150 Hm. Ebenso gut könnt ihr von Marul über die Faludrigaalpe ansteigen. Der Zeitbedarf ist ähnlich, der Weg ist zwar weitläufiger, dafür entfällt der Gegenanstieg. Von Mitte Juni bis Ende September besteht die Möglichkeit, mit dem Wanderbus Laguzalpe (576) bis zur Haltestelle Fuchswald zu fahren. Das erspart mehr als eine Stunde Gehzeit. Von der Haltestelle erreicht ihr auf einem Fahrweg die Faludrigaalpe, 1714 m. Ein Wanderweg kürzt die obersten Kehren ab. Von der Alpe erneut auf einem Fahrweg bis zum Wegweiser, bei dem er sich mit dem Weg von Marul über das Novafürkele vereinigt.

Die Gamsfreiheit ließe sich auch nach Bludenz überschreiten: Von Marul wie hier beschrieben zum Gipfel und über die Elsalpe hinab zum Tiefenseesattel. Von dort zum Muttersberg und mit der Seilbahn hinab nach Bludenz.
Wanderung von Marul zur Gamsfreiheit
Von Marul, 976 m, zunächst entweder hinab (Lasanggabach auf der ÖK) und zum Marulbach entlang. Oder aber via Fahrweg und Hof hinab zum Bach. Diese Variante habe ich gewählt. Das erste Ziel ist in jedem Fall die Unteren Novaalpe, 1074 m.
Es folgt ein besonders im mittleren Abschnitt steiler Anstieg. Der Weg führt meist durch Latschen, zum Teil im Wald, zuletzt in einem weiten Rechtsbogen zur Oberen Novaalpe, 1598 m. Der Steig führt weiter durch offene, mit Latschen bewachsene Hänge und zuletzt wieder ziemlich steil ins Novafürkele, 1937 m (Fürkele auf der OK und bei Kompass). Ein wunderbarer Platz mit schönem Blick in das Hochtal von Faludriga, wie das folgende Bild zeigt. Vor dem ostseitigen Abstieg solltet ihr unbedingt nochmals zurückschauen, auf Marul und den Walserkamm.
Vom Fürkele in einer längeren Querung Richtung Südosten mit einem Höhenverlust von 150 Hm. Beim Wegweiser, ca. 1780 m, kommt von links der Fahrweg von der Faludrigaalpe dazu.
Gemeinsam geht es zum weiten Faludrigasattel, 1984 m, zwischen Gamsfreiheit und Weißem Rössle. Von hier habt ihr einen fantastischen Tiefblick ins Klostertal. Nun weiter über einen breiten grasigen Rücken, der erst zuletzt steiler zum östlichen Gipfeleck ansteigt. Durch eine Mulde gelangt ihr rasch zum Gipfelkreuz auf der Gamsfreiheit, 2211 m.

Rundsicht von der Gamsfreiheit
Walther Flaig zählte die Gamsfreiheit zu den schönsten Aussichtsbergen in Vorarlberg. Dem würde ich zustimmen. Von hier kann man fast das ganze »Ländle« überblicken. Zwar ist sie nicht der absolute Mittelpunkt im Land, diesen Titel kann die Kellaspitze nördlich von Marul verbuchen. Die Gamsfreiheit ist nicht weit davon entfernt und zudem fast 200 m höher. Die Aussicht vereint gewaltige Tiefblicke ins Klostertal mit einer wunderbaren Fernschau bis zum Bodensee!
Im Westen sieht man in der Ferne viele Ostschweizer Berge mit Glärnisch, Alvier, Churfirsten, Speer, Säntis, Hoher Kasten und vielen anderen. Einen schöneren Überblick über den Rätikon (Weißplatte, Sulzfluh, Drei Türme, Zimba, Schesaplana, Fundelkopf, Galinakopf) findet man kaum.

Im Süden sind bei klarer Sicht viele Gipfel in der Silvretta (Vallüla, Fluchthorn, Piz Buin, Litzner-Seehorn) zu sehen.
Sehr eindrucksvoll wirken die benachbarten Berge: Weißes Rössle und Roggelskopf brechen ebenfalls mit steilen Wänden und Flanken ins Klostertal ab. Die Tiefblicke auf die Dörfer und die Arlbergstrecke sind berauschend.
Weniger spektakulär sind die dunklen Gneisgipfel im Verwall. Wer kennt die Namen dieser Berge? Kaltenberg, Pflunspitzen, Patteriol, Eisentaler Spitzen, Valschavieler Maderer und Hochjoch kennt man vielleicht noch. Viele andere sind hingegen kaum bekannt.
Die Gipfelparade im Norden, das Lechquellengebirge mit der mächtigen und allgegenwärtigen Roten Wand und das Bregenzerwaldgebirge mit den Damülser Bergen Hohem Freschen und Walserkamm rundet die außergewöhnlich schöne Rundsicht ab. Ganz weit hinten sind sogar Hochgrat, Hoher Ifen und Widderstein in den Allgäuer Alpen zu sehen.

Abstieg über den Tiefenseesattel nach Marul
Vom Gipfel am Nordwestgrat zunächst über steile Schrofen und am Drahtseil steil über eine Stufe hinab und weiter an einem Felsband entlang. Dies ist die anspruchsvollste Passage der Tour. Anschließend weniger steil in Kehren in südwestlicher Richtung in die grasige Mulde westlich des Gipfels. Hier gibt es zwei Möglichkeiten – die direkte geradeaus ist in manchen Karten nicht eingetragen. Sie ist aber schneller und führt an einem Mini-See vorbei. Auch hier geht’s meist durch Latschengelände. Zuletzt in einem Linksbogen zu Elsalpe, 1594 m.
Der folgende Fahrweg kann durchaus als langweilig empfunden werden und hat dazu noch eine kurze Gegensteigung im Programm. Im Tiefenseesattel, 1562 m, zweigen die Wege zum Muttersberg und zur Fraßenhütte links ab. Hier steht eine Ruhebank, die im Winter unter Schnee begraben liegt. Weiter auf dem Fahrweg zur Tiefenseealpe, 1457 m. Hier könnt ihr nochmals den Anstieg zum Novafürkele studieren. Der Weg ist auf der folgenden Aufnahme in Teilen über dem Dach der Tiefenseealpe und weiter oben sichtbar.

Nun wartet ein teilweise sehr steiler Abstieg. Meist in östlicher Richtung geht’s zunächst hinab zum Elsbach. Diesen über einen Steg queren und weiterhin steil auf zum Teil abschüssigem Weg hinab zum Marulbach und dem Walderlebnispfad. Auf einer der Alternativen nach Marul und zum Parkplatz.
Ausgangs- und Endpunkt
Marul im Großen Walsertal, gute Straße aus dem Walgau, gebührenpflichtiger Parkplatz vor dem Ort. Bus ab Ludesch (575).
Zeiten & Höhenmeter Marul – Novafürkele 3 Std.
Novafürkele – Gamsfreiheit 1½ Std.
Gamsfreiheit – Tiefenseesattel 1½ Std.
Tiefenseesattel – Marul 1½ Std.
1390 Hm, inkl. 150 Hm Gegenanstieg
Anforderungen & Jahreszeit T3, Trittsicherheit in der Gipfelregion und im Abstieg vom Tiefenseesattel
Juni bis Oktober (November)
Kompass: 32 Bludenz – Schruns – Klostertal,1:50 000, wasser- und reißfest.
Mayr, Herbert: Brandnertal: mit Großem Walsertal und Klostertal, Bergverlag Rother, München, 5. Auflage 2018. Sehr empfehlenswert.
Wer sich intensiver mit dem Lechquellengebirge beschäftigen möchte, den verweise ich auf die Alpenvereinsführer von Walther Flaig (1977) und Dieter Seibert (2008). Beide sind längst vergriffen und nur noch antiquarisch erhältlich, evtl. bei Alpen-Antiquariat Ingrid Koch.
Sie sind mittlerweile auch digital erhältlich (gescannte Bibliotheksausgaben). Vor allem der zwar veraltete, aber wunderbar geschriebene Flaig ist eine Fundgrube mit vielen wissenswerten Infos.
Unterwegs keine Möglichkeit.
Marul ist etwas komplizierter zu erreichen, als andere Orte in Vorarlberg. Bus ab Ludesch (575). Ludesch ist nur S-Bahn-Halt, Schnellzüge halten hier nicht.
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