Miniatur-Gebirge in der Ostschweiz
Immer wieder ist die Sprache von Regionen, in denen angeblich »die Welt noch in Ordnung ist«. Gibt es solche Ecken tatsächlich? Ich meine ja, es gibt sie. Zum Beispiel den Alpstein in der Schweiz. Jedes Mal wenn ich dort bin, habe ich das Gefühl, in einer nahezu perfekten Region unterwegs zu sein. Daran ändern auch die vielen Touristen nichts. Sie denken vermutlich ähnlich über den Alpstein wie ich.
Der Alpstein ist ein in sich geschlossenes Miniatur-Gebirge, deutlich von anderen Gebirgszügen abgrenzt. Nach Osten bildet das Rheintal eine klare Zäsur zum Bregenzerwaldgebirge und zum Rätikon in Vorarlberg. Nach Norden und Westen sinken die grünen Vorberge ins Schweizer Mittelland ab. Im Süden trennen Toggenburg und die Passhöhe von Wildhaus den Alpstein von den Churfirsten.
Hier trifft man auf kein wildes und abgelegenes Hochgebirge, sondern auf eine eigene kleine Welt, die neben steilen Kalkgipfeln durch ihre gepflegte Kulturlandschaft auffällt. Einzigartig in den Alpen. Vier Seen geben der Landschaft eine zusätzliche Note: Seealpsee, Fählensee und Sämtisersee auf der Appenzeller Nordseite sowie der kleine Gräppelensee über dem Toggenburg. Der fast schon legendäre Autor Ruedi Schatz schrieb einst im Säntisführer (10. Auflage 1976) fast poetisch: »Im Alpstein sind Mensch und Natur eine einzigartige und unauflösliche Bindung eingegangen.«
Aufbau und Gliederung des Alpsteins
Drei mehr oder weniger parallel von Nordost nach Südwest verlaufende Ketten bilden den Alpstein. In den Führern ist stets von einer »südlichen, mittleren und nördlichen Kette« die Rede. Die südliche Kette verläuft vom Hohen Kasten über Stauberen, Roslenfirst, Gätterifirst zum Gulmen bei Wildhaus. Zwischen Saxerlücke und Mutschensattel sind es sogar zwei Ketten: Vom Mutschen ziehen die Zacken der Kreuzberge in Richtung Nordost, vom Roslenfirst ein anderer, wesentlich flacherer Kamm, über den Chreialpfirst zum Zwinglipass.
Die mittlere Kette ist die kürzeste und gleichzeitig die wildeste. Sie zieht von der Hochfläche der Alp Sigel über Marwees, Hundstein und Altmann zum Wildhuser Schafberg. Die nördliche Kette beginnt bei der Ebenalp und verläuft über den Schäfler zum Säntis und von dort via Silberplatten und Lütispitz zu Neuenalpspitz und Stockberg über dem Toggenburg. Zwischen Säntis und Mutschen lässt sich mit Lisengrat und Altmann die einzige Querverbindung zwischen den drei Ketten ausmachen.
Die Alpen sind ein Faltengebirge, das durch die Kollision der Afrikanischen Platte mit der Eurasischen Platte entstand. In ihrem Buchklassiker Zürcher Hausberge (5. Auflage 1979) bezeichneten Walter Pause und Hanns Schlüter den Alpstein »als das berühmte Muster eines Faltengebirges«. Dies ist im Gelände immer wieder gut erkennbar und manche Kalkplatten erscheinen fast schon wie senkrecht hingestellt. Nicht zuletzt deshalb entstand hier der erste geologische Wanderweg der Schweiz, der vom Hohen Kasten über die Stauberen zur Saxerlücke führt. Ein wunderschöner, interessanter und vor allem aussichtsreicher Höhenweg mit den Kreuzbergen als Highlight.
Solche wilden Gipfel sind für Bergwanderinnen & Bergwanderer natürlich tabu. Zum Anschauen und für Fotos sind sie hingegen bestens geeignet.
Im Norden, Nordwesten und Westen sind dem Alpstein einige zumeist grüne Berge vorgelagert. Keiner davon erreicht auch nur annähernd die 2000-Meter-Marke, der Kronberg bildet mit 1663 m die höchste Erhebung. Diese Gipfel haben eines gemeinsam: Sie sind sehr lohnende Ziele für die Zwischen- und die Wintersaison und leicht erreichbare Aussichtswarten. Sie zählen zwar nicht mehr zum Alpstein im eigentlichen Sinn, touristisch gehören sie jedoch zweifellos dazu.
Bergwanderwege im Alpstein
Der Alpstein dürfte zu den am besten erschlossenen und beliebtesten Bergwanderregionen der Schweiz zählen. Das Wegenetz ist hervorragend markiert (manchmal fast schon ein wenig zu viel des Guten), viele Gipfel sind auf markierten Steigen erreichbar. Die Anforderungen reichen von einfachen Bergwanderungen (Hoher Kasten, Schäfler, Kronberg) über mittelschwere Unternehmungen (Säntis, Wildhuser Schafberg) bis hin zu sehr anspruchsvollen Alpinwanderungen, bei denen Kletterfertigkeit Voraussetzung ist (Altmann, Hundstein). Fast so dicht wie das Wegenetz ist die Zahl der bewirtschafteten Berggasthäuser im Alpstein.
Dennoch solltet ihr Bergwanderungen im Alpstein nicht unterschätzen, selbst wenn der Charakter eher voralpin ist. Das gilt auch für die gut markierten Wege. In 2022 gab es am bestens ausgebauten Weg zwischen Seealpsee und Ebenalp mehrere tödliche Unfälle. Nicht weil der Weg nun besonders anspruchsvoll wäre, vermutlich war eher Unachtsamkeit die Ursache dafür. Ja, die Wege sind im Alpstein zwar gut ausgebaut, aber sie führen oft durch steiles Gelände. Wer hier stolpert oder ausrutscht, kommt vielleicht ein paar hundert Meter tiefer wieder an. Also – kein Leichtsinn und Konzentration auf den Weg, auch wenn er noch so leicht und einfach aussieht.
Aus den Großräumen St. Gallen, Winterthur und Zürich ist der Alpstein besonders schnell erreichbar und auch aus der Bodensee-Region (Konstanz, Friedrichshafen, Bregenz) ist es nicht allzu weit. Von allen Städten ist eine Anreise mit Öffis möglich. Ich erinnere mich gerne an viele Touren ab Friedrichshafen: Mit der Fähre nach Romanshorn und von dort mit dem »Voralpen-Express« und der Appenzeller Bahnen in den Alpstein oder ins Toggenburg. Die Anreise mit der Fähre war immer etwas ganz Besonderes. Mit dem ÖV lassen sich gerade im Alpstein lohnende Überschreitungen durchführen.
Besuchermagneten sind die Bergbahn-Gipfel Säntis, Hoher Kasten, Ebenalp und Kronberg. Aber auch die drei wunderschönen Seen, Seealpsee, Fählensee und Sämtisersee sind stets gut besucht. Einsamkeit gibt es hier eher nicht und vor allem im Herbst ist der Alpstein sehr beliebt und an Wochenenden mitunter doch ziemlich überlaufen. Wenn ihr die Möglichkeit habt, unter der Woche zu gehen, würde ich euch das in jedem Fall ans Herz legen.
Gipfelziele im Alpstein
Welche Touren kann ich euch nun empfehlen? Das ist gar nicht so einfach. Obwohl der Alpstein ein flächenmäßig kleines Gebiet abdeckt, sind die Tourenmöglichkeiten sehr vielfältig. Die Wanderberge kenne ich so gut wie alle. Natürlich ist eine Tour auf den Säntis, den »König des Alpsteins«, ein Höhepunkt für alle Bergwanderinnen & Bergwanderer. Die Anstiege sind jedoch anspruchsvoll und verlangen eine gute Kondition. Besonders den Weg von der Schwägalp solltet ihr keinesfalls unterschätzen und nicht zu früh im Jahr angehen.
Das Duo Hoher Kasten & Kamor zählt zu meinen liebsten Bergen in den Voralpen und ich kenne sie zu allen Jahreszeiten. Die Rundsicht ist topp und neben unzähligen Alpengipfeln kommt noch der wunderbare Blick zum Bodensee dazu. In der südlichen Kette ist das Berggasthaus Stauberen ein schönes Ziel, ebenso wie der Mutschen jenseits der Saxerlücke. Zum Mutschen gibt es jedoch keine kurzen Anstiege. Kurz und aussichtsreich ist der Weg von der Ebenalp zum Schäfler und auch die Hochfläche auf der Alp Sigel ist einfach erreichbar.
Oft war ich im Herbst und Winter auf den niedrigeren Gipfeln nördlich und westlich des zentralen Alpsteins: Lütispitz, Gmeinenwishöchi, Stockberg, Neuenalpspitz, Gössigenhöchi, Hinterfallenchopf, Spicher, Hochalp, Kronberg, Hundwiler Höhi, Chlosterspitz und Fähnerenspitz. Die Berge zwischen Alpstein und Toggenburg sind besonders im Herbst lohnend.
Bei der Auswahl der Bilder hatte ich einige Mühe – ich könnte euch noch viele andere tolle Aufnahmen vom Alpstein zeigen.
Winterwandern im Alpstein
Auch im Winter könnt ihr im Alpstein Touren unternehmen. Zwar ist der zentrale Alpstein im Winter nur für erfahrene Bergsteiger geeignet. Dafür gibt es in den nördlich gelegenen Vorbergen viele lohnende Ziele, die ihr auf Winterwanderwegen oder mit Schneeschuhen erreichen könnt. Aber Vorsicht: Gerade Winterwanderwege sind in den unteren schattigen Abschnitten gerne und oft vereist und können dann heikel sein. Ihr solltet im Winter also immer Krampen oder Grödel dabei haben. Im Beitrag Winterwandern in den Alpen erfahrt ihr mehr zur richtigen Ausrüstung bei Winterwanderungen.
Die wohl attraktivste Winterwanderung im Alpstein ist der präparierte Winterwanderweg von Jakobsbad oder Gonten zum Kronberg. Er ist zu Beginn schattig, weitläufig und zieht sich. Oben aber ist er sehr aussichtsreich, mit einigen Ruhebänken auf der Kammhöhe und einem bewirtschafteten Gipfelhaus. Perfekt also für einen schönen Wintertag. Nicht zuletzt haben wir hier eine ideale ÖV-Tour: Gonten ist Haltestelle der Appenzeller Bahn zwischen Appenzell und Urnäsch.
Nördlich von Gonten ist die Hundwiler Höhi ein Gipfel für das ganze Jahr. Sie lässt sich lohnend überschreiten und ist im Winter oft ohne Schneeschuhe machbar.
Ein weiteres leichtes Ziel mit Schneeschuhen ist die Gössigenhöchi ab Ennetbühl im Toggenburg – wenn genügend Schnee liegt. Gleiches gilt für den weiter östlich gelegenen Hinterfallenchopf. Sehr schön ist auch eine Schneeschuhwanderung vom Parkplatz Egg oberhalb von Urnäsch zur Hochalp. Die Anstieg ist meist gespurt, Schneeschuhe sind dennoch nützlich.
Einer der schönsten Schneeschuhgipfel ist der Kamor ab Brülisau. In den letzten Jahren war der Anstieg im Winter oft ohne Schneeschuhe machbar. Bei großer Lawinengefahr solltet ihr auf die Tour verzichten.
Für alle hier angesprochenen Bergwanderungen gilt zu jeder Jahreszeit: Informiert euch bitte vorab über die aktuellen Bedingungen per Webcam, bei den örtlichen Tourist-Infos und über die Wetterprognosen. Im Winter solltet ihr zudem das aktuelle Lawinenbulletin des SLF konsultieren.
Appenzell Ausserrhoder Wanderwege, Appenzellerland, basiert auf Swisstopo 25, enthält den Alpstein und die Vorberge im Norden.
edition mpa, Obertoggenburg – Alpstein, basiert auf Swisstopo 25, enthält den Alpstein, die Vorberge im Norden und die Churfirsten.
Swisstopo 33, 3301 T Säntis (wasserfest, Vergrößerung der 50er-Karte, enthält fast den den gesamten Alpstein, nur im Norden braucht es zur Ergänzung die 50er, Blatt 227)
Swisstopo 50, 227 Appenzell oder 227 T Appenzell (mit Wanderwegen)
Swisstopo-App für Smartphone und Tablet
Mehr Infos bei Swisstopo.
Hunziker, Manfred: Clubführer Säntis – Churfirsten, SAC Verlag, Bern, 1999. Beschreibt alle Berge zwischen Appenzell und dem Walensee. Mehr geht nicht, sehr empfehlenswert!
Schatz, Ruedi: Säntisführer, St. Gallen, 10. Auflage 1976. Der fast schon legendäre »Klassiker«, mittlerweile veraltet und nur noch antiquarisch erhältlich. Ein schönes Stück Alpinhistorie aus einer Zeit, in der Informationen über Berge oft ein rares Gut waren!
Hürlemann, Hans: Säntis – Ziel vieler Träume, Herisau, 2006. Die Geschichte der Bahnprojekte auf den Säntis, sehr interessant und lesenswert.
Meier, Bruno: Säntiswetter – Geschichte der Wetterwarte vom Säntis 1882-1970, Herisau, 1996.
Die Schweiz hat das beste System des öffentlichen Verkehrs – zumindest im Alpenraum. Ich habe selbst ein Halbtax-Abo (»Schweizer Bahncard«). Das Halbtax ist nicht nur in den Zügen, sondern auch in Bussen und vielen Bergbahnen gültig. Die Bahntickets sind nicht gerade preiswert, Parkplätze und Parkhäuser aber auch nicht.
Infos zu Preisen und Verbindungen:
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