Bergwandern unter der Wand der Wände
Die Eiger-Nordwand! Keine andere Wand in den Alpen umweht ein ähnlich mystischer Ruf wie die Eiger-Nordwand. Lange Zeit galt sie als das letzte »ungelöste Problem« der drei großen Nordwände (Matterhorn, Grandes Jorasses, Eiger). Die Matterhorn-Nordwand wurde 1931 durchstiegen, die Grandes Jorasses 1935 über den Crozpfeiler. Nach einigen gescheiterten Versuchen, bei denen mehrere Bergsteiger tragisch zu Tode stürzten, erreichte die deutsch-österreichische Seilschaft Anderl Heckmair, Ludwig Vörg, Heinrich Harrer und Fritz Kasparek unter der Führung von Anderl Heckmair nach drei Tagen in der Nacht zum 24.07.1938 den Gipfel des Eigers.
Mittlerweile gibt es Kletterer, die in weniger als 2½ Stunden quasi durch die Eiger-Nordwand rennen! So wie der 2017 im Himalaya tödlich verunfallte Ueli Steck oder der Urner Dani Arnold. Aber darüber möchte ich hier gar nicht so viel schreiben. Das haben bereits viele andere Autoren gemacht. Literaturhinweise zur Geschichte der Eiger-Nordwand gibt’s weiter unter Kasten »Literatur«.

Nordwand-Feeling beim Bergwandern
Für uns Bergwanderinnen & Bergwanderer ist diese Wand sowieso kein Thema. Aber wer möchte nicht mal direkt unter der gigantischen Wand stehen und diese Atmosphäre aufsaugen? Einfach unter der Wand sitzen und sich vorstellen, wie man denn da hoch kommt. Und was einen auf so einer »Reise« erwartet. Gerne möchte ich euch auf diese einfache und aussichtsreiche Bergwanderung mitnehmen. Der Eiger-Trail bietet euch die Möglichkeit, dieser weltberühmten Wand ganz nahe zu kommen, ohne ausgesetzte oder gar schwierige Passagen. Wenn schneefrei, ist der Eiger-Trail eine einfache Wanderung. Der Weg ist immer breit genug, selbst wenn ihr nicht schwindelfrei seid, gibt es keine Probleme. Trittsicherheit ist aber auch hier ein guter Begleiter. Wie auf jeder Bergwanderung.
Ihr könnt den Weg in beide Richtungen gehen. Bequemer und einfacher wäre es, an der Station Eigergletscher zu starten und mehr oder weniger nur bergab zu wandern. Hier hat man die Wand allerdings eher nur eine kurze Zeit im Blickfeld. Ich persönlich finde es interessanter, sich der Wand langsam zu nähern und zu erleben, wie sie sich mächtig über den Weiden aufbaut. Daher ist meine Wahl ein Start in Alpiglen. Von dort haben sich seinerzeit übrigens auch die Erstbegeher der Nordwand genähert. In Alpiglen hatten sie sich in Heustadeln »einquartiert«.

Leichter & aussichtsreicher Bergwanderweg
Was man vielleicht nicht vermutet: Der Eiger-Trail ist überraschenderweise ein aussichtsreicher Wanderweg. Der Blick nach Norden ist vollkommen frei, über Grindelwald hinweg zur Schwarzhorngruppe mit dem bekannten Faulhorn. Nach Westen wird die Aussicht während des Anstiegs immer weiter und im Osten dominiert das mächtige Wetterhorn. Mittlerweile ist der Ausblick Richtung Westen und Norden jedoch durch die im Jahr 2020 in Betrieb genommenen V-Bahn zur Station Eigergletscher beeinträchtigt.

Die Bilder habe schon vor dem Bau der Bahn aufgenommen. Also bitte nicht wundern, wenn es bei eurer Tour etwas anders aussieht. Unverändert ist hingegen die beeindruckende Szenerie der Eiger-Nordwand geblieben. Mit der Einschränkung, dass auch sie, wie alle Nordwände in den Alpen, vermehrt ausapern. Die drei Eisfelder, von denen früher Harrer und andere Bergsteiger berichteten, sind im Sommer oft kaum mehr auszumachen. Nur die »Weiße Spinne« macht ihrem Namen noch ein wenig Ehre. Unterwegs gibt es eine Schautafel, auf der alle wichtigen »Stationen« der Erstbegeher der Eiger-Nordwand eingetragen sind.
Eiger-Trail
Der Eiger-Trail startet am Bahnhof in Alpiglen, 1615 m. Hierher kommt ihr mit dem Zug ab Grindelwald. Infos & Links zu Fahrplänen, Preisen etc. gibt’s weiter unten im Kasten »ÖV«. Natürlich könnt ihr hierher auch ab Grindelwald »by fair means« aufsteigen. Dann kommen noch etwa 2 Std. Zeit hinzu.

Der Weg führt zunächst eher etwas weg vom Eiger, Richtung Südosten bis zu einer Weggabelung bei P. 1757. Hier zweigt der Eiger-Trail rechts ab und steigt nun auf die Eiger-Nordwand zu. Nach einigen Kehren durch eine harmlose Felsstufe beginnt die lange Querung direkt unter den Ausläufern der Nordwand. Unterwegs quert ihr mehrere kleine Gräben. Die Steigung ist eher sanft und wenig anstrengend.
Auf einer kleinen Schulter (P. 2286) unter dem Rotstock steht die bereits erwähnte Tafel. Von hier könnt ihr in den Routenverlauf der Erstbegeher der Eiger-Nordwand aus sicherer Entfernung studieren. An dieser Stelle ist übrigens auch der Einstieg für den Rotstock-Klettersteig.

Von hier ist es dann nicht mehr weit bis zur Station Eigergletscher, 2320 m. Auf der Südseite der Station bieten die beiden anderen Giganten des Dreigestirns Eiger, Mönch und Jungfrau ein tollen Anblick: Die Gletscher auf den Nordseiten der beiden Letzteren sind noch immer beeindruckend. Wenn gerade kein Zug vom oder zum Jungfraujoch hält, ist es hier oben bisweilen fast schon ruhig. Seit der Eröffnung der V-Bahn nehmen die wenigsten Touristen noch den Zug bis hierher über die Kleine Scheidegg. Von hier könnt Ihr bequem mit der V-Bahn nach Grindelwald »absteigen«.
Falls Ihr noch zur Kleinen Scheidegg absteigen wollt, folgt Ihr den Schildern hinab nach Fallboden und zu einem Speichersee. Von hier führt der Weg stets oberhalb der Gleise der Jungfraubahn hinab zu Kleinen Scheidegg, 2061 m. Von hier könnt Ihr mit der Jungfraubahn wieder nach Grindelwald zurück. Oder aber per pedes nach Grindelwald oder Wengen. Oder Ihr wandert noch hinüber zum Lauberhorn oder zum Männlichen. Hier gibt es tatsächlich Wandermöglichkeiten ohne Ende!
Lauberhorn
Der beste Blick auf die Eiger-Nordwand? Vielleicht vom Männlichen. Diesen Berg erreicht ihr von Grindelwald oder Wengen mit der Seilbahn oder zu Fuß. Noch näher dran seid ihr am Lauberhorn. Lauberhorn? Genau, das ist der Berg, von dessen Schulter (»Lauberhornschulter«) das berühmte Lauberhornrennen jedes Jahr gegen Ende Januar durchgeführt wird. Es zählt zu den schwierigsten und wichtigsten Abfahrten im Ski-Weltcup.
Das Lauberhorn müsst ihr selbst erwandern. Zumindest ab der Kleinen Scheidegg. Als ich 1994 das erste Mal am Lauberhorn war, gab es noch keinen markierten Anstieg. Mittlerweile gibt es zwei Wege, die sich unterhalb des Gipfels vereinigen. Zusammen ergeben sie eine ideale Rundtour. Wenn ihr fit seid, könnt ihr das Lauberhorn an den Eiger-Trail anhängen. Oder für einen anderen Tag aufheben. Es lohnt sich!
Vom Bahnhof Kleine Scheidegg, 2061 m, folgt ihr dem breiten Wanderweg Richtung Männlichen bis zum Restaurant Grindelwaldblick, 2119. Kurz darauf zweigt der Anstieg zum Lauberhorn links ab. Er führt in einem großen Linksbogen sehr gemütlich und ohne steile Passagen zu P. 2367 auf dem flachen Grat. Rechts haltend kommt ihr zu einer Skilift-Station. Mit wenigen Kehren wieder hinauf zum Grat und hinüber zum Lauberhorn, 2472 m. Mehrere Ruhebänke laden zu einer ausgiebigen Rast. Ein großer Zaun sichert unvorsichtige Besucher davor, sich etwas zu weit über die steile Nordflanke hinaus zu lehnen.

Die Rundsicht von Gipfel ist wunderschön. Und nicht nur wegen Eiger, Mönch und Jungfrau – Hochalpen, Voralpen, steile Täler, die gesamte Jungfrau-Region präsentiert sich von ihrer schönsten Seite. Nur der etwas höhere Tschuggen schränkt die Aussicht im Norden ein wenig ein. Links vom Tschuggen schaut übrigens der Männlichen mit seiner Station hervor. Dazu gibt’s tolle Tiefblicke ins Lauterbrunnental.
Für den Abstieg vom Gipfel gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ihr könnt auf dem Anstiegsweg wieder zurück. Oder aber ihr wandert von P. 2367 zur Lauberhornschulter, 2318 m, dem Startpunkt des Lauberhornrennens. Auf einem breiten Weg geht’s von hier zur Kleinen Scheidegg hinab.

Sehr schön und aussichtsreich ist ein Abstieg von der Lauberhornschulter über die Wengernalp nach Wengen. In Kombination mit dem Eiger-Trail ergibt das eine ziemlich lange Tour …
a) Eiger-Trail
Ausgangspunkt
Grindelwald, erreichbar ab Interlaken mit dem Auto. Die Anreise mit der Jungfraubahn (312) ist viel schöner und bequemer. Von Grindelwald mit der Jungfraubahn (312) zum Bahnhof Alpiglen.
Endpunkt
Kleine Scheidegg, Bahnhof der Jungfraubahn. Von hier wahlweise nach Grindelwald (312) oder Lauterbrunnen (311, gleicher Preis) und weiter nach Interlaken.
Zeiten & Höhenmeter Alpiglen – Station Eigergletscher 2¾ Std.
710 Hm
Station Eigergletscher – Kleine Scheidegg ½ Std.
260 Hm
Anforderungen & Jahreszeit Eiger-Trail T2, Trittsicherheit bei Schnee und Nässe
Juni bis Ende Oktober (Vorsicht bei Schneefeldern zu Beginn der Saison)
b) Lauberhorn
Ausgangs- und Endpunkt
Kleine Scheidegg, Bahnhof der Jungfraubahn. Bahnverbindung ab Interlaken über Grindelwald (312) oder Lauterbrunnen (311, gleicher Preis).
Zeiten & Höhenmeter Kleine Scheidegg – Lauberhorn 1¼ Std.
410 Hm
Lauberhorn – Lauberhornschulter – Kleine Scheidegg 1 Std.
410 Hm
Lauberhorn – Lauberhornschulter – Wengen 2½ Std.
1200 Hm
Anforderungen & Jahreszeit Lauberhorn T2, Trittsicherheit am Gipfelgrat
Juni bis zum Wintereinbruch
Swisstopo 25, 2520 T Jungfrau Region (Zusammensetzung der 25er-Karte).
Swisstopo 33, 3323 T Jungfrau Region (wasserfest, Vergrößerung der 50er-Karte).
Infos und Blattschnitte bei Swisstopo.
Jung, Bernd & Anker, Daniel: Berner Oberland Ost, Bergverlag Rother, München, 10. Auflage 2022.
Wenn ihr mehr über die Geschichte der Eiger-Nordwand wissen möchtet, würde ich euch zwei Bücher empfehlen. Zuerst Harrers Originalbericht der Erstbesteigung und dann das Buch von Rettner, der auch Harrers Rolle kritisch beleuchtet. Nur in dieser Reihenfolge ergibt das Sinn.
Harrer, Heinrich: Die Weisse Spinne: Das grosse Buch vom Eiger, Ullstein, Berlin, 12. Auflage 2001. Der Klassiker unter den Büchern über die Eiger-Nordwand! Man kann zu Heinrich Harrer und seiner politischen Haltung stehen wie man möchte, aber das Buch ist ein Klassiker und ein Standard der alpinen Literatur. Ich habe das Buch mehrfach gelesen und finde nach wie vor, dass es lesenswert ist. Dass man die Haltung Harrers in mancher Hinsicht kritisch sehen darf und ich sein Verhalten keinesfalls goutiere, ist eine andere Geschichte.
Rettner, Rainer: Eiger – Triumphe und Tragödien 1932 – 1938, AS Verlag, Zürich, 2. Auflage 2011. Beschränkt sich auf die ersten Besteigungsversuche bis zur erfolgreichen Erstdurchsteigung. Sehr ausführlich und mit neuen Erkenntnissen. Rainer Rettner besitzt eines der größten Privatarchive zur Eiger-Nordwand. Tolles Buch!
Berghaus Alpiglen (Einkehr & Unterkunft)
Restaurant Eigergletscher (nur Einkehr)
Bergrestaurant Kleine Scheidegg (Einkehr & Unterkunft)
Restaurant Grindelwaldblick (Einkehr & Unterkunft)
Die Schweiz hat das beste System des öffentlichen Verkehrs – zumindest im Alpenraum. Ich habe selbst ein Halbtax-Abo (»Schweizer Bahncard«). Das Halbtax ist nicht nur in den Zügen, sondern auch in Bussen und vielen Bergbahnen gültig. Wer mehrere Tage im Berner Oberland unterwegs ist, sollte gut nachrechnen – das Halbtax-Abo kann sich hier sehr schnell amortisieren! Zugegeben: Die Bahntickets sind nicht gerade preiswert, Parkplätze und Parkhäuser aber auch nicht.
Infos zu Preisen und Verbindungen:
Eiger-Trail bei SchweizMobil (mit Links zur Planung von An- und Abreise)
V-Bahn zur Kleinen Scheidegg (Interessante Infos zum Neubau, inkl. Dokumentarfilm)